Der unbeugsame Papagei
Twerin“.
Da wurde Dobrynin froh und ruhig im Herzen.
„Auch ich habe hier ein paar Bücher gekauft!“, mischte sich plötzlich der Flieger in das Gespräch und wies mit weiter Geste in eine Ecke des kleinen Raumes, in der drei mit dickem Bindfaden umwickelte Packen Bücher lagen.
Woltschanow wurde neugierig.
„Was sind denn das für Bücher?“, fragte er den Flieger.
„Hauptsächlich Gedichte …“, antwortete der. „Unser Kommandant mag Gedichte sehr, und ich ebenfalls. Eigentlich liest unsere ganze Einheit gern Gedichte. Manchmal organisieren wir Lyrikabende und lesen sie laut vor …“
„Sehr gut!“, sagte Woltschanow beifällig. „Ich stelle mir zu Hause jetzt auch eine Bibliothek zusammen. Ich besitze ein Buch, das mir der Autor persönlich geschenkt hat. Gedichte von Bemjan Debnyj. Er wohnt bei uns im Kreml – ein guter Kommunist, aber ein schlechter Mensch.“
„Debnyj?!“, fragte der Flieger nach. „Den habe ich gelesen! Er hat viel über die Einnahme von Perekop geschrieben.“
Dobrynin versuchte sich den Namen des Dichters einzuprägen, damit er sich gelegentlich mit dessen Gedichten bekannt machen konnte.
Sie tranken ihren Tee aus. Woltschanow begleitete den Piloten und den Volkskontrolleur bis zum Flugzeug, winkte ihnen zu und lief, als die Motoren schon heulten, zu seinem Auto zurück, das am gestreiften Häuschen auf ihn wartete.
Das schmutziggrüne Bombenflugzeug nahm Anlauf und eine Minute später erhob es sich bereits über die Erde.
Dobrynin blickte aus dem runden Fenster. Dort unten blieb die gestreifte hölzerne Flugplatzbude hinter ihnen zurück, in der er vor zehn Minuten noch seinen Tee getrunken hatte. Dort unten blieb auch Moskau hinter ihnen zurück. Ihm wurde traurig zumute. Als würde er jetzt ein weiteres Mal sein Zuhause verlassen, ohne zu wissen, ob er je wiederkehrte. Als würden seine Liebsten und Nächsten ohne ihn zurückbleiben … Da regte sich mit einem Mal Selbstmitleid in dem Volkskontrolleur, und er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen.
Das Dorf Kroschkino und Moskau verbanden sich in seinem Kopf zu einem großen Ganzen, voll der schönsten Erinnerungen und Gedanken; schon hörte er aus der Vergangenheit das Bellen seines verstorbenen geliebten Hundes Dmitrij über das nächtliche Moskau schweben. Das Dorf Kroschkino selbst befand sich nun gleichsam mitten in Moskau, denn wenn er in seiner Fantasie aus dem Kreml trat, dann sah er die heimatliche Bauernkate und seine Frau Manjascha, die auf der Schwelle stand. Und die Kinder, die inzwischen schon ein klein wenig gewachsen waren. Bei diesen Gedanken beruhigte er sich, denn so waren sie ja da, ganz nah, und jederzeit könnte er schnell bei ihnen vorbeischauen, in jeder freien Minute …
Unterdessen lärmte das Bombenflugzeug mit den Motoren und pfiff mit den Propellern. Es bebte das Metall unter Dobrynins Füßen, es bebten die Wände der fliegenden Maschine, und davon wurde dem Volkskontrolleur noch trauriger zumute, denn er spürte und erkannte, wie wenig hier nun von ihm abhing, wie klein er inmitten des Himmels war. Wieder kam ihm die Gedichtzeile in den Sinn: „Allein ist man ein Nichts“. In diesem Augenblick, im Himmel, im vibrierenden, lärmenden Flugzeug, stimmte Dobrynin dieser Zeile zu, denn was vermochte er schon allein? Der Pilot vermochte viel mehr, aber auch der war nicht allmächtig, denn wenn etwas an der Maschine kaputtging, dann hieß es nur noch: gemeinsam abwärts! Doch Dobrynin verspürte keine Angst, nur eine kurze Trauer, und so kurz war sie, dass der Volkskontrolleur schon eine halbe Stunde später, als er noch einmal nachgedacht hatte, jene Gedichtzeile von sich wies. Und auch die Traurigkeit wies er von sich, als ein fremdes und nutzloses Gefühl. Nun begann er zu warten. Er wartete auf ihre Landung im hohen Norden, wo sein Freund, Retter und Gehilfe Dmitrij Waplachow ihn erwartete, wo Kommandant Iwaschtschukin allzeit bereit war zu helfen, wo ihm noch so viel Arbeit bevorstand, ehe er Genosse Twerin würde berichten können, dass das Leben im sowjetischen Norden überprüft und alle Ungerechtigkeiten korrigiert waren.
Das Flugzeug stieg höher und höher und brach durch einsame Wölkchen, die ihm auf seinem Weg begegneten. Dobrynin lenkte sich ein wenig von allem ab, indem er die erste Erzählung aus dem zweiten Büchlein las, das ihm Genosse Twerin geschenkt hatte. Die Erzählung hieß „Heimliche Bitte“, und es war darin die Rede davon, dass Wladimir
Weitere Kostenlose Bücher