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Der unbeugsame Papagei

Der unbeugsame Papagei

Titel: Der unbeugsame Papagei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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mit großen Fangnetzen in den Händen stiegen aus. Und sie begannen, durch das Sanatorium zu laufen und die Katzen einzufangen.
    Zur selben Zeit saß Lenin auf seiner Lieblingsbank im Park des Sanatoriums und streichelte ein paar Katzen. Da sprang plötzlich ein Mann mit einem Fangnetz zu dieser Bank und fing eine rote Katze ein, die in der Nähe in der Sonne lag. Das arme Tier zuckte und wand sich in den Maschen des Fang­netzes, doch der Mann stand zufrieden da und bedauerte vielleicht nur, dass sein Fangnetz so klein war, dass man nur eine Katze aufs Mal damit fangen konnte.
    Da sagte Lenin zu ihm:
    „Worüber freuen Sie sich, Genosse? Haben Sie Kinder? Wohnen Sie in Moskau? Seit welchem Jahr sind Sie in der Partei?“
    Der Mann senkte den Blick zu Boden, denn er wusste ja, wer da vor ihm saß.
    „Ich“, sagte er, „freue mich darüber, dass ich den Menschen Nutzen bringe.“
    Den Blick hob er nicht.
    „Was für ein Nutzen ist das denn? Beschäftigen Sie sich schon lange damit? Wie viele Katzen fangen Sie pro Tag?“
    „Unter streunenden Haustieren gibt es doch viele toll­wütige. Sie können Kinder beißen, und die Kinder sterben dann. Das ist doch nicht recht …“, antwortete der Mann.
    Lenin hörte ihm zu und streichelte weiter eine schwarze Katze.
    „Ich gehe mal schnell, aber ich bin gleich zurück …“, sagte der Mann und eilte mit der gefangenen Katze zum Auto.
    Nach einer Minute kehrte er wirklich mit einem leeren Fangnetz wieder.
    Während er fort war, hatte Lenin die schwarze Katze ganz leicht geschlagen, damit sie davonlief. Doch noch drei andere Katzen lagen in der Nähe an der Sonne.
    Der Mann bedeckte mit dem Fangnetz die nächste Katze und hob sie über dem Boden hoch.
    „Ein schönes Tier“, sagte der Mann bedauernd. „Aber das ist nun mal meine Arbeit.“
    „Arbeiten muss man mit dem ganzen Herzen!“, sagte Lenin, indem er sich von der Bank erhob. „Gefällt Ihnen denn Ihre Arbeit?“
    „Wieso?!“, fragte der Mann achselzuckend. „Haupt­sache, dass sie Nutzen bringt. Ich bekomme mein Geld nicht für Nichts …“
    „Genau, ganz richtig!“, lobte ihn der Führer. „Hauptsache, dass sie Nutzen bringt.“
    Und mit diesen Worten ging Lenin davon, ins Innere des Parks.
    Der Mann aber stand da, sah dem Führer hinterher und dachte angestrengt über seine Worte nach. Während er nachdachte, versteckten sich die übrig gebliebenen zwei Katzen, die Gefahr erkennend, im Gebüsch, und so blieben sie am Leben.
    Diese Geschichte hat sich im Sanatorium Gorki bei Moskau zugetragen.
    Sie wurde nach den Worten der Köchin E. M. Pustowojt aufgezeichnet.

    Die Erzählung bestürzte Dobrynin ein wenig, doch er verstand schon selbst, dass der Kopf nach jeder Trinkerei langsam und weniger gut als gewöhnlich arbeitete. Als er einige Zeit über den Inhalt der Geschichte nachgedacht hatte, glaubte er jedoch, im Verhalten des Führers die List zu erkennen, dank derer man nicht alle Katzen des Sanatoriums „Gorki“ gefangen hatte. Da offenbarte sich dem Volkskontrolleur alles: Er begriff, dass Lenin einerseits die Ordnung achtete und unterstützte, weil er diesen Burschen nicht sofort aufgehalten hatte, aber dass der Führer andererseits auch die Tiere liebte, was sich in seinem folgenden Verhalten zeigte. ‚Das heißt‘, dachte Dobrynin, ‚man kann manchmal Gewitztheit beweisen, ohne die herrschende Ordnung zu stören …‘
    Der letzte Gedanke war fast klüger als Dobrynin selbst gewesen, und der Volkskontrolleur staunte sehr über ihn. Dabei verstand er ihn ja – und verstand ihn zugleich doch nicht ganz.
    Irgendwo hörte man ein Poltern. Danach ächzte jemand laut, fluchte kurz und verstummte.
    Dobrynin kroch unter seinen Decken hervor und bemerkte, dass er vollkommen angekleidet geschlafen hatte.
    In der Kaserne war es nicht gerade warm.
    Seiner Erinnerung folgend, lief Dobrynin los und fand die Kantine. Er setzte sich an einen Holztisch.
    In dem Fensterchen der Essensausgabe tauchte das erstaunte Gesicht eines Soldaten aus dem fernen Osten auf.
    „Essen, ja?“, fragte er.
    „Ja“, antwortete Dobrynin und rieb sich die Augen, aus denen er den Schlaf noch nicht heraus gewaschen hatte.
    „Grütze, Fleisch, ja?“, fragte der Soldat wieder mit hartem Akzent.
    „Ja.“
    „Fleisch von Bär“, erklärte der Kochsoldat. „Kein Knochen, aber Granatsplitter. Musst du vorsichtig essen …“
    Dobrynin nickte und wartete darauf, dass etwas vor ihm auf dem Tisch erscheinen würde.
    Nach

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