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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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kontrollieren, darüber urteilen und entscheiden will. Es ist nicht gut, wenn ich mich daran erinnere, weil der Tiger, den ich in mir habe, dann wütend wird. Und der ist grausam. Ich kann rachsüchtig und wild werden. Kann die Kontrolle über mich verlieren. Und im Dschungel wird der vernichtet, der die Kontrolle verliert. Nur nicht die Kontrolle verlieren. Man muss schlau sein.

 
     
     
     
Genau im richtigen Moment
     
     
    Es klopfte an der Tür. Ich öffnete. Da stand eine junge Frau. Weder hübsch noch hässlich. Mit sehr weißer Haut und sehr schwarzem Haar. Sie trug ein helles, weites, luftiges Kleid. Ohne Schminke, ohne Schmuck, ohne Uhr. Nur eine schwarze Tasche, klein und schlicht. Alles in allem einfach und angenehm. Sie mochte so um die dreißig sein. Vielleicht achtundzwanzig.
    Sie brachte keinen Gruß über die Lippen. Sie war außer Atem und schwitzte. Ganz normal. Man muss die Treppen hochsteigen. Ich dachte, sie wollte mir etwas verkaufen. Ich wartete, dass sie wieder zu Atem kam und reden konnte. Ich merkte, dass sie nichts verkaufte. Sie holte Luft, lächelte leicht und sagte:
    »Kann ich reinkommen?«
    Ich war unentschlossen. Trotzdem sagte ich:
    »Ja bitte. Komm rein.«
    Sie trat mit demselben Ausdruck ein wie ein alter Freund, der sich gut in der Wohnung auskennt. Immer noch schwitzte sie und atmete heftig. Sie begann sich die Bilder an den Wänden anzuschauen. Aufmerksam. So als sei sie in einer Kunstgalerie. Ein bisschen frech. Das störte mich:
    »Geh auf die Dachterrasse hinaus. Dort weht ein bisschen Wind.«
    »Nein, danke. Ist schon in Ordnung.«
    Sie sah sich weiter die Bilder an. Drang in aller Seelenruhe in meine Privatsphäre ein. Ich fragte sie:
    »Kennen wir uns?«
    »Ich dich wohl.«
    »Wie meinst du das?«
    »Durch deine Bücher.«
    »Aha. Hast du eins davon gelesen?«
    »Alle.«
    Sie sah mich lächelnd an und setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl. Wir hatten den Esstisch zwischen uns. Es ist ein gebeizter, runder Tisch, nicht sehr groß, doch auf jeden Fall stand er wie ein Hindernis zwischen uns.
    »Willst du Wasser?«
    »Ja. Darf ich rauchen?«
    »Klar.«
    Ich reichte ihr einen Aschenbecher. Ich dachte daran, Kaffee zu machen, doch dann kam mir das übertrieben vor. Sie trank einen Schluck Wasser, zündete die Zigarette an und fragte:
    »Lebst du schon lange allein?«
    »Ich lebe nicht allein.«
    »Hast du eine Frau?«
    »Ja.«
    »Schon lange?«
    »Drei oder vier Jahre.«
    »Aber in deinen Büchern …«
    »Meine Bücher sind meine Bücher, und ich bin ich.«
    »Aber … du warst eine Zeit lang allein.«
    »Viele Jahre. Ich bin nicht gern allein.«
    »Niemand ist das gern.«
    »Kommt drauf an. Manchmal ist es besser, allein zu sein. Wie heißt du?«
    »Jessica.«
    »Wie hübsch.«
    »Auf Kubanisch.«
    »Wie?«
    »Mit Y. Mit k. Mit einfachem s.«
    »Versteh ich nicht.«
    Sie holte einen Kugelschreiber und ein kleines Notizbuch aus ihrer Tasche. Schrieb es auf und zeigte es mir:
    »Yesika.«
    »Ah, ein bisschen komisch.«
    »Ich komme vom Land. Für meine Eltern ist es so richtig.«
    »Und was machst du so, Yesika?«
    »Was ich mache?«
    »Was ist dein Beruf?«
    »Ich bin verheiratet und hab zwei Töchter.«
    »Guter Beruf.«
    »Hahaha.«
    »Lebst du in Kuba?«
    »Wieso?«
    »Wegen deines Akzentes. Du hörst dich an wie eine Argentinierin.«
    Statt einer Pause stieß sie die Luft aus. Heftig, wie jemand, der eine schwere Last abwirft.
    »Ich lebe in Mailand. Seit sieben Jahren.«
    »Ah.«
    »Deine Bücher habe ich auf Italienisch gelesen. Erst danach auf Spanisch. Ich denke ja schon auf Italienisch.«
    »Hast du einen Italiener geheiratet?«
    »Ja.«
    »Wohnst du in der Stadt?«
    »Nein. Auf dem Land, in der Nähe der Stadt.«
    Wir schwiegen. Ich habe den Eindruck, als entferne sie sich. Sie raucht und schaut aus dem Fenster ihr gegenüber. Man sieht ein Stück blauen Himmel mit kleinen, weißen Wolken. Man sieht auch einige Gebäude von Vedado und dem Stadtzentrum von Havanna. Es scheint, als schwebe sie im Raum davon und würde unnahbarer und kälter. Ohne mich direkt anzuschauen, sagt sie:
    »Erzähl mir von deiner Frau. Wie heißt sie?«
    »Julia. Da gibt’s nichts zu erzählen. Oder sehr wenig. Keine Ahnung. Sie arbeitet in einer Pizzeria, einem Schnellimbiss. Sie ist den ganzen Tag weg und kommt erst abends wieder. Ah, sie war mal ein paar Tage in Mailand. Vor vier Jahren. Vielleicht war sie auch in der Nähe von da, wo du wohnst.«
    »Mit dir? Auf

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