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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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Schiff wäre verloren gewesen. Verstehen Sie mich? Der Kapitän gab mir also diese Aufgabe, um das Schiff zu retten. Ich hab da noch ein Diplom, das ich bekommen hab, weil ich …«
    »Warten Sie einen Augenblick. Und was geschah dann? Ging es nicht unter?«
    »Nein, nur Geduld. Es geht ja noch weiter, hehehe. Nur keine Eile, Compañero, nur keine Eile. Man sieht, dass Sie noch jung sind. Nur keine Eile, hehehe. Am zweiten Tag ging das so weiter, und wir konnten ja nicht alle in den Tiefschlaf versetzen, weil das Schiff ja noch funktionieren musste. Wir hatten schon fast ein Dutzend, die schliefen.«
    »Und was haben Sie dann gemacht?«
    »Der Kapitän teilte Rum aus. Jede Menge. Eine Flasche für jeden am Morgen und noch eine am Abend. Der Rum macht fröhlich, und du vergisst alle Sorgen, hahaha … Der Kapitän war ein sehr kluger Mann.«
    »Aber das war doch das Gleiche wie mit den Schlafmitteln. Wenn das Schiff untergegangen wäre …«
    »Es ging aber nicht unter, Compañero. Der Kapitän wusste, was er tat. Er war ein Mann mit sehr viel Erfahrung. Aber schreiben Sie nicht das mit dem Rum! So was machte man eben an Bord, aber schreiben Sie das bloß nicht, weil …«
    »Ja, ja, keine Sorge. Und sind Sie dann nach Japan gekommen?«
    »Ja, aber leider zu spät. Ich half dem Kapitän sehr, denn das Schiff war hinterher das reinste Chaos, und wir mussten alles sauber machen und aufräumen. Als wir im Hafen ankamen, gab es eine kleine Feier, und ich bekam ein Diplom … Lassen Sie mal sehen, ob ich es gerade finde … Ich war ein Held, stellen Sie sich vor … Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre das Schiff untergegangen.«
    Der Typ redete und redete und zeigte uns seine Diplome. Ich schaltete ab. Die Story konnte ich nicht bringen. Iván hörte auf, Fotos zu machen. Wir sahen uns an, wir wussten beide, dass wir das nicht bringen konnten. Wir verabschiedeten uns von unserem Helden und verließen die Berge. Drei Tage blieben wir noch in der Gegend, fanden ein paar beispielhafte Themen und machten sie, dann fuhren wir nach Havanna zurück.
    Zwei Monate später rief man mich zu Hause an: Iván sei an diesem Nachmittag gestorben. Herzinfarkt. Am gleichen Abend ging ich zur Totenwache im Beerdigungsinstitut. Cusita saß neben dem Sarg und weinte herzzerreißend. Ich grüßte sie und trat näher, um meinen Freund zu sehen und mich von ihm zu verabschieden. Ich mag die Gesichter von Toten sehr. Ein paar Mal habe ich sogar fast eine halbe Stunde wie hypnotisiert dagestanden und habe mir das Gesicht einer Leiche ganz genau angeschaut, Millimeter für Millimeter erforscht.
    Iváns Gesicht war blaugrau. Wie von Zyankali. Man erzählte, es sei ganz plötzlich geschehen. Er bekam keine Luft mehr, hatte starke Schmerzen in der Brust und fiel um. Wie vom Blitz getroffen, von einer Sekunde auf die andere.
    Eine Gruppe seiner Freunde meinte, Cusita habe ihn umgebracht, weil sie ihn so sehr leiden ließ. Einer sagte:
    »Er betrank sich jeden Tag und rauchte drei Päckchen Zigaretten. Und dazu immer der Streit und die Affären seiner Frau.«
    Ich dachte, dass er sich auf jeden Fall selbst umgebracht hatte, weil er das alles ertrug. Jemand sagte:
    »Er war in Cusita verliebt wie ein Hund. Er kam einfach nicht los von ihr.«
    Damals wusste ich noch nicht, was es bedeutete, verliebt wie ein Hund zu sein und nicht einfach von einer Frau loszukommen. Und ich sagte zu mir selbst: »Ein Mann darf nie die Kontrolle verlieren.« Ich dachte wie einer, der alles unter Kontrolle hat. Das gefiel mir sehr: Ich, der Unbezwingbare. Dann gingen die Jahre über mich hinweg. Und es geschahen viele Dinge.

 
     
     
     
Etwas, das mich einen Luftsprung
machen lässt
     
     
    Etwas Entsetzliches geschah. Eine Herde wilder Pferde griff mich mit voller Wucht an. Sie bissen mich und traten wütend nach mir. Da waren auch Hunde. Wie Wölfe. Sehr bissige Hunde. Sie schnappten nach mir. Die Pferde wollten mich umbringen und schleiften mich durch den Staub. Ich spürte, wie mir ihre Hufe auf den Schädel trommelten. Sie wollten mir den Kopf zertrümmern. Und die Wölfe schlugen mir ihre Reißzähne in die Arme und rissen mir Fleischstücke raus. Plötzlich rutsche ich aus und falle die Treppe hinunter. Falle ins Leere und fliege durch die Luft. Mit großer Geschwindigkeit geht’s nach unten. Erschrocken wachte ich auf, völlig verwirrt und wie ein Verrückter nach Luft schnappend. Ich öffnete die Augen und setzte mich im Bett hoch. Uff. Ganz ruhig. Alles

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