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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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vorbei. Ich betastete meine Arme, dachte, ich würde Blut und die Wunden von Schneidezähnen fühlen. Okay, okay, alles in Ordnung. Julia schläft neben mir, und ich bin in El Calvario. Wir sind in El Calvario, im Haus meiner Mutter, verbringen dort das Wochenende. Jetzt fällt’s mir wieder ein. Morgen ist Sonntag. Nein, heute ist Sonntag. Es muss bald hell werden. Gestern Abend haben wir ein bisschen was getrunken und sind spät ins Bett gegangen, vielleicht um ein oder zwei Uhr morgens, leicht beschwipst. Ich stehe auf, gehe in die Küche. Wie immer laufen Kakerlaken herum, die schnell in ihre Schlupflöcher huschen, als ich das Licht einschalte. Ich trinke Wasser, schalte das Licht wieder aus. Gehe ins Bad und pinkle, während ich durch das offene Fenster hinausschaue. Auf dem Dach des Nachbarhauses, ein paar Meter von mir entfernt, sitzt geduckt ein Typ und bewegt sich vor und zurück. Ich beobachte ihn ganz ruhig. Die Nacht ist hell, und ich sehe nur seine Silhouette vor ein paar Mango- und Avocadobäumen, die etwas weiter entfernt stehen. Ja, es ist ein Mann. Ich pinkle zu Ende. Schüttle ihn gut ab und lass ihn hängen. Ich bin nackt. Trete ans Fenster. Ja, kein Zweifel, da ist ein junger, schlanker Typ, der sich vor und zurück bewegt, als sähe er auf etwas im Nachbarhof hinab und verstecke sich dann wieder. Muss ein Einbrecher oder ein Spanner sein. Ohne nachzudenken, rufe ich:
    »Hau ab, du Arsch, dreister Dieb, Spanner! Mach, dass du wegkommst! Ich schneid dir die Rübe ab, wart nur, ich hab eine Machete und schneid dir die Rübe ab!«
    Langsam drehte er den Kopf und sah zu mir rüber. Es war ein Kater. Er rührte sich nicht vom Fleck, blieb einfach sitzen. Ich sah genauer hin. Mir schien, als zerpflücke er eine Ratte oder einen Vogel und verschlinge ihn seelenruhig. Mit meinen Rufen weckte ich meine Frau. Ganz erschrocken fuhr sie auf:
    »Was ist los? Ein Mann auf dem Dach? Oh, um Gottes willen! Komm nur schnell her! Pass auf, er könnte eine Waffe haben! Komm schon, komm!«
    Es war mir unangenehm, sie zu enttäuschen und lächerlich zu wirken. Sie hatte alles mit angehört. So sagte ich nichts, ging in die Küche, trank noch einmal Wasser und brachte ihr ein Glas ans Bett. Sie trank es auf einen Zug aus. Sie war immer noch ganz erschrocken und fragte:
    »Ist er weg? Ist er abgehauen?«
    »Ja. Er ist über die Dächer geflüchtet.«
    »Ob das ein Einbrecher war?«
    »Oder ein Spanner, keine Ahnung.«
    »Ach du lieber Himmel! Das ist das Problem hier draußen in diesen Vororten. Hier gibt’s zu viele Kriminelle und verkommene Typen.«
    »Im Zentrum von Havanna ist es noch schlimmer, Julia.«
    »Glaub ich nicht. Hier in den Vororten …«
    »Ja, ja, ist ja schon vorbei. Sag Mutter nichts, damit sie sich nicht erschrickt.«
    So war’s besser. Wenn ich ihr erzählt hätte, dass es nur ein Kater war, würde sie wieder anfangen wie immer: »Du bist zu nervös. Jetzt siehst du nachts schon Gespenster. Es wird immer schlimmer mit dir. Schreib mal ‘ne Weile nicht, damit du den Kopf frei bekommst.«
    Meine Mutter schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer. Sie überlässt uns immer das Schlafzimmer mit dem großen Bett. Dreimal am Tag schluckt sie Tabletten: wenn sie aufsteht, um die Mittagszeit und bevor sie schlafen geht. Sie nimmt jede Menge Aufputscher, Ruhigsteller, Aufheller. Eine ganze Schublade voller Pillenschachteln hat sie, die alle ordentlich beschriftet und wohl geordnet sind, als wär’s eine Briefmarkensammlung. Gestern Abend hat sie außerdem noch ein paar Glas Rum getrunken, während sie sich mit mir und Julia unterhielt.
    Ich schaute auf die Uhr. Vier Uhr siebenundzwanzig. Ich legte mich wieder hin und rechnete nach. Ich hatte … sagen wir mal, seit halb zwei … weniger als drei Stunden geschlafen. Ich fühlte mich müde, konnte aber nicht schlafen. Es war sehr heiß. Ich tastete nach Julia. Sie schwitzte. Das stößt mich ab. Wir schliefen beide völlig nackt und bei offenem Fenster. Kein Lüftchen ging. Nicht eines. Juli und August sind unerträglich. Das Häuschen meiner Mutter ist ein widerlicher Kasten, schmutzig und voller Staub, es stinkt feucht und ungelüftet und nach Kakerlaken. Der Geruch erinnert mich an eine Kloake. Sie ist immer peinlich sauber gewesen, aber das Alter ist ekelhaft. Im Mai oder Juni, ich weiß nicht genau, ist sie fünfundsiebzig geworden. Sie hat keine Kraft und keine Lust mehr zum Saubermachen oder zu sonst irgendwas. Sie beschäftigt sich nur noch mit den

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