Der verborgene Charme der Schildkröte
sich nur umso dichter ineinander verschlungen. Da sie der Überzeugung war, dass sie schon in den Abgrund der Wechseljahre gestürzt war, weinte Hebe Jones vor Freude, als sie erfuhr, dass sie schwanger war. In jener Nacht legte Balthazar Jones den Kopf auf den Leib seiner Frau und begann ein Gespräch mit Milo, das beinahe zwölf Jahre lang andauern sollte.
Während Hebe Jones der Schrecken der morgendlichen Übelkeit erspart blieb, wurde sie von einem noch perfideren Zwang als ihre Schwester befallen. Wenn Balthazar Jones abends nach Hause kam, saß seine Frau, den dicken Bauch vor sich, auf dem Boden vor dem Kamin und bediente sich an den Kohlen. »Ich tu doch gar nichts«, sagte sie, die Zähne schwarz vor Ruß. Ihr Ehemann nahm an, dass ihr ein lebenswichtiges Vitamin fehlte, und suchte auf den verstaubten Regalen des örtlichen Lebensmittelhändlers nach etwas, das ihre Sucht befriedigen könnte. Mit einhundertvierzehn Dosen Tintenfisch in schwarzer Tinte kam er zurück und präsentierte sie seiner Frau voller Stolz. Eine Weile lang schien die spanische Delikatesse ihren Zweck zu erfüllen, bis Balthazar Jones seine Frau eines Abends dabei ertappte, wie sie das Wohnzimmer mit einem verräterischen Fleck auf der Wange verließ. Das war der Moment, in dem er zur Tat schritt. Den Mann, der das Kohlenfeuer gegen einen Gasofen austauschen sollte, begrüßte Hebe Jones mit Tränen in den Augen.
Die Schwangerschaft verbrachte sie in einem Zustand der Seligkeit, der nur von gelegentlichen Panikattacken getrübt wurde, weil sie sich nicht vorstellen konnte, jemand anderen so zu lieben wie ihren Ehemann. Ihre Befürchtungen waren allerdings unbegründet. Als das Baby erst einmal geboren war, überschüttete sie es mit derselben Liebe, die auf seinen Vater herabregnete.
Balthazar Jones, der von einer ebenso verrückten Liebe zu dem Neugeborenen befallen wurde, fand seinen Sohn so schön, dass er vorschlug, ihn Adonis zu nennen. Erschöpft von der Anstrengung, das Kind auf die Welt zu bringen, begrüßte Hebe Jones den Vorschlag ihres Mannes – sie war immer schon für einen griechischen Namen gewesen. Aber während die Schönheit des Kindes außer Zweifel stand, fürchtete sie nun doch Hänseleien auf dem Spielplatz. Daher erinnerte sie ihren Mann daran, was er selbst hatte durchmachen müssen, weil er nach einem der Heiligen Drei Könige benannt worden war, und dann auch noch nach jenem, der mit einem so lausigen Geschenk wie Weihrauch aufgekreuzt war.
Als Hebe Jones’ Mutter Idola Grammatikos im Krankenhaus erschien, um ihr elftes Enkelkind in Augenschein zu nehmen, sagte sie: »Alte Hühner sorgen für eine gute Brut.« Unfähig, die Augen von ihrem Enkel abzuwenden, erklärte sie, er sei zum Fressen schön. So kam der Name Milo, das griechische Wort für »Apfel«, ins Spiel, und daher verließ der Junge das Krankenhaus mit dem Namen einer Frucht. Als Balthazar Jones schließlich aus seinem Freudentaumel erwachte, leugnete er jeglichen Einfluss der Botanik und bestand darauf, dass sein Sohn nach Milo von Kroton, dem sechsmaligen Ringermeister im alten Griechenland, benannt worden sei.
KAPITEL ACHT
Balthazar Jones öffnete die Tür des Salt Towers und inspizierte vorsichtig die stille Festungsanlage, über der ein Hauch von Frost lag. Ein paar Minuten stand er da und lauschte, ob der Rabenmeister zu hören war, denn der stand immer früh auf, um seine Vögel zu füttern. Kein Laut war zu vernehmen. Schnell schloss er die Tür hinter sich und eilte zum Develin Tower, in der Hand eine Pampelmuse.
Der Beefeater griff in die Hosentasche und holte den Schlüssel heraus. Nachdem er sich noch einmal umgeschaut hatte, um sicherzustellen, dass ihn niemand beobachtete, steckte er ihn ins Schloss und drehte ihn herum. Er zog die Eingangstür hinter sich zu und drückte dann den Riegel zu seiner Rechten hinunter. Bei dem Geräusch wandte ihm das Bartschwein sofort den Kopf zu, und im selben Moment, da Balthazar Jones die dicht behaarten Backen sah, waren sämtliche Schuldgefühle vergessen, dass er sich mit dem Tier aus dem Staub gemacht hatte. Er beugte sich hinab und hielt ihm die Pampelmuse hin, das Einzige, was er in der Eile gefunden hatte. Das Schwein, das sich mitten in einer Kratzorgie befand, verließ seinen Platz am Kamin und kam über das Stroh gelaufen, um mit seiner haarigen Schnauze das gelbe Mitbringsel zu inspizieren. Statt aber seine Zähne in die Frucht zu schlagen, stupste es sie zu Boden, schoss sie
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