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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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dann mit der Schnauze quer durch den Raum und sauste hinterher. Nach einem weiteren Kopfstoß setzte das Schwein die Verfolgungsjagd mit unverminderter Begeisterung fort und ließ die Schwanzquaste wie eine Flagge über seinen prächtigen Hinterbacken flattern. Der Beefeater schaute verzückt zu, und selbst zehn Minuten später waren weder Tier noch Mann das Pampelmusenspektakel leid.
    Nachdem er geschworen hatte, mit einem anderen Frühstück wiederzukommen, schloss Balthazar Jones die Tür hinter sich ab und ging in Richtung Water Lane, um sich zu erkundigen, ob die Fischlieferung für die Felsenpinguine eingetroffen war. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er die Tiere nicht mehr gesehen hatte, seit der Wagen den Zoo verlassen und der einsame Pinguin auf dem Beifahrersitz ihn angeschaut hatte.
    Balthazar Jones rannte los und hielt erst auf der Brücke, von der aus man den Graben überblicken konnte, wieder an. Die Hände auf dem Geländer, stieß er seinen heißen, verzweifelten Atem in die kalte Morgenluft und schaute auf das leere Pinguingehege hinab. Er öffnete das Tor und betrat den Holzsteg, der errichtet worden war, damit die Touristen das Gras nicht in Matsch verwandelten. Vor dem ersten Gehege blieb er stehen und hielt nach einer Masse aneinandergeknuddelter, kurzsichtiger Vögel mit imposanten gelben Augenbrauen Ausschau. Alles, was er sah, war allerdings der Vielfraß, der mit der genießerischen Maßlosigkeit eines römischen Kaisers eines von unzähligen Eiern in sich hineinstopfte. Im nächsten Gehege irrte er zwischen den knotigen Knien der Giraffen herum, aber von Schnäbeln keine Spur.
    Nun lief er ins Innere der Festung zurück, stieg die Treppe des Devereux Towers hoch und öffnete die Tür zum Affenhaus. Sein plötzliches Auftauchen ließ die Brüllaffen in Aktion treten, und so musste er nach einem kurzen Blick durch die Stäbe schnell wieder verschwinden. Als er vor dem Zorilla stand, wollte er ihn dazu bewegen, sich zu erheben, aber seine hektischen Armbewegungen wirbelten einen derart stechenden Gestank auf, dass er sich sofort wieder zurückzog. Der Komodowaran weigerte sich, ebenfalls aufzustehen, doch der Beefeater war ohnehin zu dem Schluss gekommen, dass die Pinguine in seiner Gesellschaft keine Überlebenschance gehabt hätten. Nun eilte er zum White Tower, weil er hoffte, dass sie sich vielleicht dort zusammengerottet hatten, und lief zwischen den Grünen Ringbeutlern herum, die sich zum Schlafen auf die Äste gehockt hatten, ihre Schwanzspitze adrett eingekringelt. Doch leuchtend rote Pinguinäuglein waren nirgendwo zu sehen.
    Nachdem er die gesamte Festung abgesucht hatte, gelangte der Beefeater schließlich zum Brick Tower und sagte sich, dass der Umzugsmann die Pinguine einfach zu den anderen Vögeln gescheucht haben werde. Er nahm zwei Stufen auf einmal, stieß im ersten Stock die Tür auf und eilte zur Vogelvoliere. Sein Blick blieb nicht am entzückenden Albert-Paradiesvogel hängen, obwohl dessen Augenbrauenfedern doppelt so lang waren wie der gesamte Körper, was frühe Ornithologen so sehr erstaunt hatte, dass sie das erste ausgestopfte Exemplar glatt für taxidermische Trickserei gehalten hatten. Seine Aufmerksamkeit galt auch nicht dem pfirsichfarben-grünen Lovebird-Weibchen, das von seinem Partner getrennt worden war, damit sie sich nicht wechselseitig zerfleischten. Auch die Tukane, die der Königin vom peruanischen Präsidenten geschenkt worden waren, beachtete er nicht, obwohl ihre Schnäbel so wunderbar waren, dass die Azteken glaubten, sie seien aus Regenbogen hergestellt worden. Er starrte vielmehr auf die hässlichen Füße, die aus einem kleinen Busch herausragten, und als plötzlich das Laub zu rascheln begann, hielt der Beefeater die Luft an. Heraus kam aber nur der Wanderalbatros, dessen Füße so gewaltig waren, dass die Matrosen sie einst als Tabaksbeutel benutzt hatten. Der Beefeater sank zu Boden und fragte sich, wie er dem Mann vom Palast das Verschwinden der Pinguine erklären sollte. Er lehnte sich an die Wand und stöhnte so verzweifelt, dass der Fledermauspapagei, der kopfüber an seinem Ast hing, aus dem Schlaf erwachte.
    Rev. Septimus Drew raffte seine Soutane hoch und kniete neben der Orgel nieder. Es dauerte eine Weile, bis er den Mut fand, das Wesen am Schwanz zu packen. Als er seinen Widerwillen überwunden hatte, hielt er es hoch und betrachtete es mit den Augen desjenigen, der bereits in die staubigen Tiefen unzähliger gequälter Seelen

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