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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Fenster. Aus den Augen, welche auf dem Briefe ruhten, brach ein Blick des Glückes, so froh und hell wie ein warmer Sonnenstrahl.
    »Gustav, Gustav kommt!« flüsterte sie. »Wie herrlich! Er ist der Einzige, der mich versteht, er und seine guten Eltern! Papa ist so ernst und seit Mamas Tode so verschlossen, und die Anderen – ah, fast scheint es mir, als ob es nicht gar viele Menschen gebe, die man lieben darf!«
    Sie öffnete den Brief und las ihn. Von Zeile zu Zeile erhöhte sich der glückliche Ausdruck ihres Gesichtes.
    »Ja, ja,« sagte sie dann zu sich. »Das stand zu erwarten. Er ist reich, sehr reich begabt und wird schnell Carrière machen. Er schreibt so bescheiden, aber man kennt ja seinen Werth!«
    War es schwesterliche Freude oder war es etwas noch Anderes – sie gab sich darüber keine Rechenschaft, aber ganz unwillkürlich hob sich ihre Hand mit dem Briefe, und ihre Lippen berührten die Stelle desselben, auf welcher sich die Unterschrift befand. Aber fast ganz in demselben Augenblicke senkte sich die Hand blitzschnell wieder herab: Die Zofe war eingetreten, einen Carton in den Händen tragend. Sie hatte den Kuß gesehen, that jedoch so, als ob sie nichts bemerkt habe.
    »Hier ist das Paket, gnädiges Fräulein,« sagte sie. »Darf ich öffnen?«
    »Ja, thue es,« antwortete die Baronesse.
    Sie hatte sich, dem Könige zu Ehren, welcher morgen zur Jagd erwartet wurde, aus der Residenz eine prachtvolle Robe verschrieben, welche jetzt dem Carton entnommen wurde. Die Blicke der Zofe hingen bewundernd an dem schweren Seidenstoffe und dem reichen Ausputze des Kleides, und als sie das Letztere nun der Herrin zur Probe anlegen mußte, fand sie, daß sie ihrer ganzen Selbstbeherrschung bedurfte, um nicht den Neid bemerken zu lassen, der jetzt ihre Seele erfüllte. Dann, als die letzte Hand angelegt war, rief sie im Tone aufrichtiger Freude:
    »Wie herrlich! Wie köstlich! Das gnädige Fräulein können sich mit den Prinzessinnen aller königlichen und kaiserlichen Höfe messen. Dieses Kleid sitzt zum Entzücken schön. Seine Majestät werden die gnädige Baronesse Alma von Helfenstein reizend und bewundernswerth finden!«
    »Doch leider Dich nicht auch!«
    Diese Worte erklangen von der Portière her. Dort stand der Baron Otto von Helfenstein, welcher, von Beiden unbemerkt, eingetreten und die Worte der Zofe vernommen hatte. Seine Antwort hatte einen unfreundlichen, beinahe harten Klang. Er gab der Zofe einen Wink, sich zu entfernen und trat dann, als sie gehorcht hatte, näher. Jetzt erst wurde sein ernstes Gesicht freundlicher.
    »Es ist wahr, liebe Alma,« sagte er »diese Robe kleidet Dich ausgezeichnet. Aber diese Ella lobt zu überschwänglich. Sie hat mir nie gefallen. Sie hat so ein aalglattes, übergeschmeidiges Wesen, und ich kann mich für solche Charaktere nicht erwärmen. Ich glaube, sie ist falsch und heuchelt. Doch nicht, um Dir dies zu sagen, komme ich zu Dir, sondern aus einem anderen Grunde.«
    Es geschah selten, außerordentlich selten, daß der Baron einmal die Gemächer seiner Tochter betrat. Geschah es ja einmal, so gab es ganz gewiß etwas sehr Wichtiges zu verhandeln. Daß dies jetzt auch der Fall sei, war ihm anzusehen.
    Er schritt nach einem Fauteuil, nahm bedächtig darauf Platz und musterte dann die Gestalt Alma’s, welche in Erwartung des Kommenden leicht an dem Damenschreibtische lehnend stand.
    »Ich muß wirklich sagen, daß Deine Figur eine tadellose ist,« meinte er, ihr zufrieden zunickend. »Man könnte vielleicht sagen, daß Du eine Schönheit bist. Du brauchst da nicht zu erröthen. Es ist ein Unterschied, ob ein Vater oder ein schmachtender Seladon diese Worte sagt. Ein Mädchen soll sich schmücken, soll aber auch wissen, für wen es sich schmückt. Hast Du Dir diese Frage vielleicht schon aufrichtig vorgelegt?«
    Trotz der soeben gehörten Ermahnung des Vaters trat eine erneute Gluth auf die Wangen des reizenden Mädchens. Was wollte, was beabsichtigte er? Wozu und warum diese eigenthümliche Frage?
    »Nun, magst Du mir nicht antworten?« fuhr er fort.
    »Aber Papa, ich verstehe Dich nicht,« sagte sie, indem sie sich bestrebte, ihr inneres Gleichgewicht zu behalten.
    »Täusche Dich nicht selbst. Ich bin überzeugt, daß Du mich verstehst!«
    »Nun, verstehe ich Dich recht, so meinst du, ob es eine bestimmte Person giebt, für welche ich mich schmücken möchte?«
    »Ja, das meine ich allerdings.«
    »Es giebt keine solche.«
    »Das ist mir in gewisser Beziehung

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