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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bleibt des Verbrechens, dessen man ihn anklagt, schuldig. Kehrt er aber zurück, so werde ich seine Unschuld beweisen, und er kann offen und gerechtfertigt das Gefängniß verlassen.«
    »Was wird er während dieser drei Stunden thun?«
    »Er soll eine Besprechung mit einem Rechtsanwalt haben.«
    »Der Anwalt kann am Tage zu ihm in die Zelle kommen.«
    »Das erlaubt der ganz und gar eigenthümliche Stand der Verhältnisse nicht!«
    »Wer ist es?«
    »Der Riese Bormann.«
    Man sah, daß der Schließer erschrak.
    »Um Gotteswillen!« sagte er. »Bei diesem gefährlichen Menschen darf ich es noch viel weniger wagen als bei einem Anderen.«
    »Und dennoch können Sie es wagen. Ich werde Ihnen die Sache so erleichtern, daß Sie einsehen, wie ehrlich ich es mit Ihnen meine.«
    »Das soll mich verlangen.«
    »Gut. Sagen Sie mir vorher, ob es Ihnen möglich ist, einen Gefangenen vor das Thor der Frohnveste zu bringen, ohne daß man dies bemerkt.«
    »Vor das Thor nicht, aber vor die hintere Pforte.«
    »Schön. Ich halte Sie für einen ehrlichen Menschen, dem ich vertrauen kann. Ich mache Ihnen daher folgenden Vorschlag: Zunächst schenke ich Ihnen fünfhundert Thaler, damit Sie sich für die morgige Revision vorbereiten und retten können. Zweitens lege ich volle dreitausend Thaler als Caution in Ihre Hand, daß der Gefangene sich bis drei Uhr morgens wieder vor der Pforte befindet.«
    »Dreitausend Thaler!« rief die Frau.
    »Dreitausend Thaler!« wiederholte der Baron. »Ich selbst hole den Gefangenen und bringe Ihnen denselben zurück. Dabei geben Sie mir die Caution retour. Er kehrt ganz sicher zurück. Und selbst für den Fall, daß dies nicht geschehen sollte, kann Ihnen doch kein Mensch einen Fehler nachweisen und die Caution verfällt Ihnen als Ihr Eigenthum.«
    Die Frau richtete einen gierigen Blick auf den Baron und einen aufmunternden auf ihren Mann. Dieser schüttelte den Kopf und sagte: »Das ist viel, sehr viel! Vielleicht würde ich darauf eingehen, denn meine Lage zwingt mich dazu. Aber er ist der Riese Bormann!«
    »Nun, warum bei diesem nicht?«
    »Man sagt, daß er mit dem ›Hauptmann‹ in Verbindung stehe.«
    »Sie meinen den geheimnißvollen Hauptmann?«
    »Ja.«
    »Was wissen Sie von ihm?«
    »Nichts weiter, als das man sich vor ihm zu hüten hat.«
    »Nun, da haben Sie recht, und ich sehe, daß ich mit Ihnen auch weiter aufrichtig sein kann. Ich habe ein Billett vom Hauptmann erhalten. Er schreibt, daß der Riese unschuldig sei, das ich ihn auf die angegebene Weise retten könne und daß ich mit Ihnen sprechen solle.«
    »Mit mir?« fragte der Schließer erschrocken.
    »Ja. Er nannte mir Ihren Namen.«
    »Kennen Sie ihn denn?«
    »Nicht im Geringsten. Aber Sie wissen ja, daß er selbst hochgestellten Herren zuweilen Befehle vorschreibt und im Gegenfalle ihnen mit seiner Rache, wohl gar mit dem Tode droht. Es hat schon Mancher, der ebenso wie ich, ein Ehrenmann ist, einen Brief von ihm erhalten und ihm aus Angst gehorchen müssen.«
    »Das ist sehr richtig und wahr.«
    »So schrieb er mir heut, daß ich mit Ihnen sprechen solle, wenn mir mein Leben lieb ist.«
    »Er drohte Ihnen?«
    »Wie Sie hören. Und sodann fuhr er fort, daß Sie ein todter Mann seien, falls Sie nicht auf meinen Vorschlag eingehen würden.«
    »Gott, o Gott!« rief die Frau angstvoll.
    Auch der Mann hatte sich entfärbt.
    »Ist das wahr wirklich wahr?« fragte er.
    »Ja, buchstäblich.«
    »Darf ich den Brief lesen?«
    »Ja. Hier ist er. Sie werden aber sehen, daß er verlangt, der Brief solle sofort vernichtet werden, sobald auch Sie ihn gelesen haben. Wir werden natürlich gehorchen.«

    Der Schließer nahm das Schreiben entgegen, welches der Baron für diesen Fall angefertigt hatte, und las es durch. Als er fertig war, blickte er den Baron ehrfurchtsvoll an und sagte: »Wie? Er nennt Sie Erlaucht! Sie sind also ein Graf?«
    »Ja und leider. Es ist soweit gekommen, daß eine Erlaucht einem Verbrecher gehorchen muß, um das Leben zu retten. Und wollen Sie einen weiteren Beweis, so sehen Sie hier meinen Brillantring mit der Grafenkrone.«
    Er zog den Handschuh ab und zeigte den Ring. Die Krone war freilich keine Grafenkrone, aber was verstand der Schließer davon! Dieser warf einen Blick auf den Ring und sagte: »Bei Gott, es ist wahr. Aber, Erlaucht, Ihren Namen darf ich wohl nicht auch erfahren?«
    »Warum nicht. Ich bin Graf Holk von Werthenstein. Sie haben vielleicht bereits von mir gehört.«
    »Ja, gewiß. Ich las in der

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