Der verlorne Sohn
Zeitung von Ihnen. Sie sind Diplomat und erst vor einigen Tagen hier angekommen.«
»Richtig. Ich bin aufrichtig gegen Sie und hoffe, daß Sie verschwiegen sein werden. Ich muß diesem verteufelten ›Hauptmanne‹ den Willen thun, wie es ein Anderer an meiner Stelle ebenso machen würde, wenn er sein Leben erhalten will; aber Sie sehen ein, daß ich verloren wäre, sobald das Geringste darüber verlautete.«
Das Gesicht des Schließers erheiterte sich. Er sagte:
»Gnädiger Herr, jetzt wird mir das Herz leicht, denn jetzt sehe ich ein, daß ich Ihnen vertrauen kann.«
»Sie wollen mir also den Gefallen thun?«
»Ja.«
»Den Gefangenen mir punkt Mitternacht an die Pforte bringen?«
»Ja.«
»Und ihn gegen drei Uhr dort wieder in Empfang nehmen?«
»Ja.«
»Schön! Das soll zu Ihrem Glücke sein. Hier ist das Geld.«
Er zog, ebenso wie vorhin bei dem Juden, fünf Hundertthalerscheine hervor und gab sie dem Schließer. Dieser griff mit zitternden Händen zu, während seine Frau vor Entzücken die Arme um ihn schlang. Dann fuhr der Baron fort: »Die dreitausend Thaler gebe ich Ihnen, sobald der Gefangene bei mir ist. Sind Sie einverstanden?«
»Ja, gnädiger Herr. Gott, wie glücklich bin ich. Alle Angst und alle Sorge ist nun plötzlich verschwunden.«
»Ich gönne es Ihnen. Nun aber wird Ihre Zeit abgelaufen sein, und die meinige ist es auch. Ich muß gehen. Also, halten Sie Wort. Gute Nacht, bis wir uns wiedersehen.«
Er ging, und der Schließer leuchtete ihm die Treppe hinab. Droben im ärmlichen Stübchen herrschte Glück und Freude. Der Baron dachte daran nicht im Mindesten. Er überzeugte sich zunächst, ob er nicht beobachtet werde, nahm dann eine Droschke und ließ sich nach einem entlegenen Stadttheile fahren. Dort stieg er aus und schritt durch einige Gassen und Gäßchen weiter, bis er an eine lange Mauer kam. Hier blieb er einige Zeit horchend stehen, und als er sich überzeugt hielt, daß er nicht beobachtet werde, zog er sein Messer hervor, öffnete es und steckte die Klinge in eine zwischen zwei Mauersteinen befindliche Ritze.
Der eine dieser Steine war ringsum vom Mörtel befreit, also locker. Mit Hilfe des Messers gelang es dem Barone leicht, ihn heraus zu bringen. Dann langte er in die Oeffnung und zog drei spitze Eisen hervor, welche die Form von Meiseln hatten. An derselben Stelle der Mauer gab es drei Löcher, in welche die Eisen eingeschoben werden konnten, sodaß sie vielleicht sechs Zoll weit hervorstanden. Da sie in gleichen Abständen über einander in die Mauer gesteckt waren, konnten sie dem Baron als Stufen dienen. Er stieg an ihnen empor, zog sie unter sich wieder heraus und bediente sich auf der anderen Seite ihrer ganz in derselben Weise.
So gelangte er in einen großen Garten, welcher schon mehr ein verwildeter Park zu sein schien. Er schlich leise aber doch eiligen Schrittes zwischen den Bäumen dahin, bis er an die hintere Seite eines finsteren Hauses gelangte, welches mitten in dem Garten stand. Hier ging eine steinerne Freitreppe empor. Zu beiden Seiten derselben gab es hart am Boden ein Fenster, welches zur Kellerei zu gehören schien. Das eine derselben war nur angelehnt. Der Baron schob es auf, stieg ein, machte es wieder zu und befand sich nun in einem dunklen Raume, den er sehr gut zu kennen schien, denn er schritt, ohne Leuchte zu bedürfen, weiter und immer weiter.
Er gelangte schließlich an einige schmale Stufen, stieg zwei derselben empor und stieß nun mit dem Kopfe an ein bretternes Hinderniß, an welchem sich ein Riegel befand. Er schob den Riegel zurück und auch die Bretter bei Seite, aber leise, ganz leise, als ob er befürchte, daß Jemand das Geräusch hören könne.
Ein Lichtschein drang von oben herein. Er zog die Maske aus der Tasche und befestigte sie vor seinem Gesichte; dann stieg er sehr langsam weiter empor.
Der hölzerne Boden, welchen er zur Seite geschoben hatte, war der Boden einer Art von Lehrkatheder, hinter welchem und zwischen dessen Seitentheilen ein Stuhl stand. Auf dem Katheder lag eine silberne Klingel.
Als er die letzte Stufe emporgestiegen war, steckte er in kauernder Stellung hinter dem Katheder, so daß er nicht gesehen werden konnte. Dann schob er den Boden leise wieder zurück und richtete sich rasch empor. Er befand sich in einem gewölbtem Raume, in welchem Tische und Stühle standen. An diesen Tischen saßen gegen dreißig verhüllte und maskirte Personen, alle mit dem Rücken nach dem Katheder. Keiner sprach mit dem
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