Der verlorne Sohn
aber es gab da nur einen Tisch, keinen Stuhl, kein anderes Möbel als zwei Betten, welche man durch eine offen stehende Thür in der Schlafkammer stehen sah.
Auf der Diele saßen zwei Knaben, welche sehr trübe Gesichter zeigten; am Fenster stand eine Frau, die Augen voller Thränen, und vor dem Tische lehnte ein noch junger Mann, welcher sich Mühe gab, einen Teller magerer Brodsuppe für sich allein zu behalten, ohne ihn mit den Seinigen zu theilen.
Die Frau war diejenige, welche vorhin bei dem Juden Salomon Levi gewesen war. Als sie den Baron erblickte, erröthete sie. Sie mochte ihn erkennen, wenn auch nicht an den Zügen, da er im Schatten gesessen hatte, so doch an dem Anzuge, welchen er trug.
Er grüßte höflich, bat um Entschuldigung, daß er störe, und fragte dann die weinende Frau:
»Kennen Sie mich, liebe Frau?«
Sie wendete sich halb ab, ohne zu antworten. Er fuhr fort:
»Ich war bei Salomon Levi, wo ich etwas über Ihre Lage erfuhr. Schämen Sie sich nicht. Ich komme, Ihnen zu helfen.«
Die beiden Leute fühlten sich wie electrisirt. Der Mann legte rasch den Löffel fort, und die Frau griff nach der Schürze, um ihre Thränen zu trocknen.
»Die Kinder brauchen nicht zu hören, was wir sprechen,« sagte der Baron. »Tragen Sie dieselben hinaus auf die Betten und hören Sie dann, was ich Ihnen zu sagen habe.«
Er hatte auch hier gleich von seinem Eintritt an eine solche Stellung eingenommen, daß er sich möglichst im Schatten befand. Die Frau gehorchte ihm und kehrte dann mit einem Gesichtsausdruck zurück, in welchem die hoffnungsvollste Wißbegierde zu lesen war. Sie und ihr Mann, welcher noch kein Wort gesprochen hatte, warteten, was der räthselhafte Fremde ihnen nun mittheilen werde. Dieser fragte, sich wieder an die Frau wendend:
»Ich wiederhole meine Frage, ob Sie mich wieder erkennen?«
Sie nickte mit dem Kopfe.
»Sie wollten bei dem Juden diesen Tisch und die beiden Betten, welche sich im Nebenzimmer befinden, versetzen?«
Sie erröthete abermals vor Scham und blickte, ohne zu antworten, ihren Mann an. Dieser nahm das Wort:
»Warum fragen Sie?«
»Weil ich die größte Theilnahme für Sie empfinde.«
»Wer sind Sie?«
»Vielleicht werde ich Ihnen dies nachher sagen. Haben Sie nur vorher die Güte, mir mitzutheilen, warum Sie sich nicht an andere Leute als an diesen Juden wenden?«
»Ich habe keinen anderen Menschen.«
»Was brachte Sie in die traurige Lage, all Ihr Eigenthum auf die Leihbank zu tragen?«
»Die Noth.«
»Und was brachte Sie in diese Noth?«
Der Mann schien über diese zudringliche Frage unwillig zu werden. Er antwortete:
»Herr, Sie sprechen Fragen aus, welche man nur einem sehr vertrauten Freunde zu beantworten pflegt!«
»Das ist wahr, aber ich möchte gern haben, daß Sie auch zu mir Vertrauen fassen. Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, daß ich bereit bin, Ihnen zu helfen.«
»Das kann ich kaum glauben. Wir sind einander vollständig fremd, und unter Fremden pflegt man gewöhnlich keinen Helfer zu suchen, wenn man ihn bereits unter Bekannten nicht gefunden hat. Uebrigens kann ich Ihnen wohl sagen, daß ich durch einen solchen Bekannten in meine gegenwärtige Noth gestürzt worden bin.«
»Wieso?«
»Erlauben Sie, daß ich darüber schweige!«
»Ah, Sie haben ein reges Ehrgefühl! Das freut mich, denn es überzeugt mich, daß Sie der Hilfe würdig sind. Der Bekannte hat Sie gebeten, ihm neunzig Thaler zu borgen?«
»Herr, woher wissen Sie das?«
»Ich habe es erfahren.«
»Ich habe zu Niemand davon gesprochen, und er hat ebenso alle Veranlassung, darüber zu schweigen!«
»Die Quelle, aus welcher ich geschöpft habe, ist hier gleichgiltig. Sie haben sich bereden lassen, ihm das Geld zu geben.«
»Leider!«
»Sie hatten aber selbst kein Geld. Sie haben Ihrem Freunde zu Liebe eine Anleihe gemacht. Ist es nicht so?«
»Allerdings,« antwortete der Gefragte, einigermaßen verlegen.
»Darf ich fragen, bei wem Sie diese Anleihe gemacht haben?«
»Bei einem Dritten.«
»Wer ist dieser Dritte?«
»Herr – –!«
»Schon gut! Ich kenne ihn. Sie sind Mitglied eines Militärvereins: Sie sind sogar Cassirer desselben. Sie nahmen die neunzig Thaler aus der Kasse, welche Ihnen anvertraut war?«
»Herr, wer sind Sie?« fragte der Mann erbleichend.
Auch seine Frau erschrak. Wie war der Fremde in den Besitz ihres Geheimnisses gekommen? Sie mußte sich alle Mühe geben, ein neu ausbrechendes Schluchzen zu unterdrücken.
»Sie erfahren schon noch, wer
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