Der verrueckte Feuerspuk
hinauf in ihr Zimmer zu rennen, brauste Paula durch die Eingangshalle und bog in Richtung Chinazimmer ab, einen der Ausstellungsräume im Erdgeschoss. Vom Chinazimmer ging es zum Musikzimmer. Doch dieser Raum war nicht einfach nur ein Musikzimmer. Er barg ein Geheimnis, von dem kein Mensch etwas wusste, mit Ausnahme von Paula und ihrem kleinen Bruder Max. Das Musikzimmer beherbergte nämlich eine gut versteckte Geheimtür …
Nach wenigen Minuten war Paula wieder auf dem Hof.
Schon beim Näherkommen schüttelte sie den Kopf. „Wie vom Erdboden verschluckt!“
„Heilige Ordnung, liebe sie! Sie erspart dir viel Zeit und Müh!“, trällerte Frau Hagedorn, die nicht mal wusste, was genau vom Erdboden verschluckt worden war. Ohne auf Frau Hagedorns Bemerkung einzugehen, zog Paula Max hinter sich her, bis sie außer Hörweite der Haushälterin waren.
„Ich mache mir große Sorgen“, flüsterte Paula. „In seinem Zimmer ist er auch nicht! Was machen wir denn jetzt? Wir können doch nicht ohne ihn fahren.“
Nachdenklich betrachtete Max die Eingangstür, die sein Vater gerade zusperrte. Das Krachen des Türschlosses hallte über den Hof.
Max zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich hat er es sich einfach anders überlegt. Du weißt doch, wie er manchmal ist.“
„Und wenn ihm etwas zugestoßen ist?“, sagte Paula besorgt.
„Das Taxi kommt!“, jubelte Frau Hagedorn und winkte dem Fahrer mit dem Regenschirm.
Max schob seine Brille den Nasenrücken hoch. „Mach dir keine Gedanken“, sagte er zu Paula. „Was sollte ihm schon zustoßen? Er ist schließlich ein Gespenst!“
Da die Ferien gerade begonnen hatten, war am Bahnhof der Teufel los. Auf den Bahnsteigen drängten sich die Reisenden und schlugen sich in dem Gewimmel versehentlich die Koffer in die Kniekehlen. Zum Glück hatte Dr. Kuckelkorn in dem Zug, der sie in die Berge bringen sollte, Plätze reserviert.
„Lassen Sie mich das machen!“, bot Dr. Kuckelkorn Frau Hagedorn an, die sich vergeblich bemühte, ihre schwere Reisetasche ins Gepäcknetz zu befördern.
„Sehr gerne!“ Mit einem Seufzer plumpste die Haushälterin auf einen der Fensterplätze. Sie ließ den Verschluss ihrer Handtasche aufschnappen und im nächsten Moment wanderte eine Praline in ihren Mund.
Eine Pfeife schrillte und der Zug fuhr an.
Während Max lustlos in einem Buch über die Entstehung der Alpen blätterte, starrte Paula aus dem Fenster.
Mit einem Gespenst befreundet zu sein, ist manchmal ganz schön anstrengend, dachte sie traurig. Vor allem, wenn es sich auch noch um ein adliges Gespenst handelt.
Adlige Gespenster waren sehr eigenwillig und extrem launisch. Warum sonst hatte Sherlock Freiherr von Schlotterfels die gemeinsame Reise in die Berge Knall auf Fall ausgeschlagen?
Normalerweise konnten Menschen Gespenster natürlich nicht sehen. Doch eines Nachts hatten Max und Paula völlig arglos nach einem Kerzenleuchter gegriffen. Sie ahnten ja nicht, dass genau in dieser Sekunde der bis dahin unsichtbare Sherlock ebenfalls seine Hand nach dem Kerzenleuchter ausgestreckt hatte. Der Vollmond am Himmel wurde Zeuge, wie alle drei im selben Moment den Leuchter berührten. Das wäre weiter nicht erwähnenswert, gäbe es nicht dieses eine Gespenstergesetz: Berühren ein Gespenst und ein Mensch bei Vollmond ein und denselben Gegenstand, so wird das Gespenst für diesen Menschen sichtbar. So kam es, dass Sherlock und sein Gespensterhund Lilly, den er in diesem verhängnisvollen Augenblick auf dem Arm trug, für Max und Paula sichtbar wurden.
Sherlock, Lilly, Max und Paula waren inzwischen Freunde. Aber wo steckten die beiden Gespenster jetzt? Paula seufzte schwer.
Bald erfüllte regelmäßiges Schnarchen das Abteil. Frau Hagedorn war eingeschlafen.
„Zeit für einen Kaffee“, entschied Dr. Kuckelkorn. „Wollt ihr mitkommen, ins Bordbistro?“
Max und Paula schüttelten den Kopf.
„Na schön, ihr könnt ja nachkommen, wenn ihr es euch anders überlegt“, sagte Dr. Kuckelkorn und verschwand.
„Sapperlot noch eins! Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich so unbequem gereist!“
Max und Paula erschraken. Vor ihrer Nase baumelte kopfüber eine durchsichtige Gestalt von der Gepäckablage. Die lange Lockenperücke saß schief auf dem Kopf des Mannes, der grimmig zwischen Max und Paula hin und her schaute. Aber der kleine weiße, ebenfalls durchscheinende Hund im Gepäcknetz wedelte zur Begrüßung freundlich mit dem Schwanz.
„Freiherr von Schlotterfels!“,
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