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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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gleichen Kof- fer so leicht sich hatte wegnehmen lassen. Er erinnerte sich an die fünf Nächte, während derer er einen kleinen Slowacken, der zwei Schlafstellen links von ihm lag, un- ausgesetzt im Verdacht gehabt hatte, daß er es auf seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowacke hatte nur dar- auf gelauert, daß Karl endlich von Schwäche befallen für einen Augenblick einnicke, damit er den Koffer mit ei- ner langen Stange, mit der er immer während des Tages spielte oder übte, zu sich hinüberziehen könne. Bei Tage sah dieser Slowacke genug unschuldig aus, aber kaum war die Nacht gekommen, erhob er sich von Zeit zu Zeit von seinem Lager und sah traurig zu Karls Koffer her- über. Karl konnte dies ganz deutlich erkennen, denn immer hatte hie und da jemand mit der Unruhe des Auswanderers ein Lichtchen angezündet, trotzdem dies nach der Schiffsordnung verboten war, und versuchte unverständliche Prospekte der Auswanderungsagentu- ren zu entziffern. War ein solches Licht in der Nähe, dann konnte Karl ein wenig eindämmern, war es aber in der Ferne oder war es dunkel, dann mußte er die Augen offenhalten. Diese Anstrengung hatte ihn recht er- schöpf. Und nun war sie vielleicht ganz umsonst gewe- sen. Dieser Butterbaum, wenn er ihn einmal irgendwo treffen sollte.
    In diesem Augenblick ertönten draußen in weiter Fer- ne in die bisherige vollkommene Ruhe hinein kleine kur- ze Schläge wie von Kinderfüßen, sie kamen näher mit verstärktem Klang und nun war es ein ruhiger Marsch von Männern. Sie giengen offenbar, wie es in dem schmalen Gang natürlich war, in einer Reihe, man hörte Klirren wie von Waffen. Karl der schon nahe daran ge- wesen war, sich im Bett zu einem von allen Sorgen um Koffer und Slowacken befreiten Schlafe auszustrecken, schreckte auf und stieß den Heizer an um ihn endlich aufmerksam zu machen, denn der Zug schien mit seiner Spitze die Tür gerade erreicht zu haben. „Das ist die Schiffskapelle", sagte der Heizer. „Die haben oben ge- spielt und gehn einpacken. Jetzt ist alles fertig und wir können gehn. Kommen Sie." Er faßte Karl bei der Hand, nahm noch im letzten Augenblick ein Muttergot- tesbild von der Wand über dem Bett, stopfe es in seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ mit Karl eilig die Kabine.
    „Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren mei- ne Meinung sagen. Es ist niemand mehr da, man muß keine Rücksichten nehmen", wiederholte der Heizer ver- schiedenartig und wollte im Gehn mit Seitwärtsstoßen des Fußes eine den Weg kreuzende Ratte niedertreten, stieß sie aber bloß schneller in das Loch hinein, das sie noch rechtzeitig erreicht hatte. Er war überhaupt langsam in seinen Bewegungen, denn wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie doch zu schwer.
    Sie kamen durch eine Abteilung der Küche, wo einige Mädchen in schmutzigen Schürzen – sie begossen sie absichtlich – Geschirr in großen Bottichen reinigten. Der Heizer rief eine gewisse Line zu sich, legte den Arm um ihre Hüfe und führte sie, die sich immerzu kokett gegen seinen Arm drückte, ein Stückchen mit. „Es gibt jetzt Auszahlung, willst Du mit?" fragte er. „Warum soll ich mich bemühn, bring mir das Geld lieber mit", antwortete sie, schlüpfe unter dem Arm durch und lief davon. „Wo hast Du denn den schönen Knaben aufgega- belt", rief sie noch, wollte aber keine Antwort mehr. Man horte das Lachen aller Mädchen, die ihre Arbeit unterbrochen hatten.
    Sie giengen aber weiter und kamen an eine Türe, die oben einen kleinen Vorgiebel hatte, der von kleinen ver- goldeten Karyatiden getragen war. Für eine Schiffsein- richtung sah das recht verschwenderisch aus. Karl war, wie er merkte niemals in diese Gegend gekommen, die wahrscheinlich während der Fahrt den Passagieren der ersten und zweiten Klasse vorbehalten war, während jetzt vor der großen Schiffsreinigung die Trennungstü- ren ausgehoben waren. Sie waren auch tatsächlich eini- gen Männern schon begegnet, die Besen an der Schulter trugen und den Heizer gegrüßt hatten. Karl staunte über den großen Betrieb, in seinem Zwischendeck hatte er davon freilich wenig erfahren. Entlang der Gänge zogen sich auch Drähte elektrischer Leitungen und eine kleine Glocke hörte man immerfort.
       Der Heizer klopfe respektvoll an der Türe an und forderte, als man „herein" rief, Karl mit einer Handbe- wegung auf, ohne Furcht einzutreten. Er trat auch ein, aber blieb an der Türe stehn. Vor den drei Fenstern des

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