Der Verschollene
einer Geheimtasche, die ihm seine Mutter für die Reise im Rockfutter angelegt hatte, eine Visitkarte. „Butter- baum, Franz Butterbaum." „Haben Sie den Koffer sehr nötig?" „Natürlich." „Ja warum haben Sie ihn dann einem fremden Menschen gegeben?" „Ich hatte meinen Regenschirm unten vergessen und bin gelaufen ihn zu holen, wollte aber den Koffer nicht mitschleppen. Dann habe ich mich auch noch verirrt." „Sie sind allein? Ohne Begleitung?" „Ja, allein." Ich sollte mich vielleicht an diesen Mann halten, gieng es Karl durch den Kopf, wo finde ich gleich einen bessern Freund. „Und jetzt haben Sie auch noch den Koffer verloren. Vom Regenschirm rede ich gar nicht", und der Mann setzte sich auf den Sessel, als habe Karls Sache jetzt einiges Interesse für ihn gewonnen. „Ich glaube aber, der Koffer ist noch nicht verloren." „Glauben macht selig", sagte der Mann und kratzte sich kräfig in seinem dunklen kurzen dichten Haar. „Auf dem Schiff wechseln mit den Hafenplätzen auch die Sitten, in Hamburg hätte Ihr Butterbaum den Koffer vielleicht bewacht, hier ist höchstwahrscheinlich schon von beiden keine Spur mehr." „Da muß ich aber doch gleich hinaufschauen", sagte Karl und sah sich um wie er herauskommen könnte. „Bleiben Sie nur", sagte der Mann und stieß ihn mit einer Hand gegen die Brust geradezu rauh ins Bett zurück. „Warum denn?" fragte Karl ärgerlich. „Weil es keinen Sinn hat", sagte der Mann. „In einem kleinen Weilchen gehe ich auch, dann gehn wir zusammen. Entweder ist der Koffer gestohlen, dann ist keine Hilfe und Sie können ihm nachweinen bis an das Ende Ihrer Tage oder der Mensch bewacht ihn noch immer, dann ist er ein Dummkopf und soll weiter wachen oder er ist bloß ein ehrlicher Mensch und hat den Koffer stehn gelassen, dann werden wir ihn bis das Schiff ganz entleert ist, desto besser finden. Ebenso auch Ihren Regenschirm." „Kennen Sie sich auf dem Schiff aus?" fragte Karl mißtrauisch und es schien ihm, als hätte der sonst überzeugende Gedanke, daß auf dem leeren Schiff seine Sachen am besten zu finden sein wür- den, einen verborgenen Haken. „Ich bin doch Schiffs- heizer", sagte der Mann. „Sie sind Schiffsheizer", rief Karl freudig, als überstiege das alle Erwartungen, und sah den Elbogen aufgestützt den Mann näher an. „Gera- de vor der Kammer, wo ich mit den Slowacken geschla- fen habe, war eine Luke angebracht durch die man in den Maschinenraum sehen konnte." „Ja dort habe ich gearbeitet", sagte der Heizer. „Ich habe mich immer so für Technik interessiert", sagte Karl, der in einem be- stimmten Gedankengang blieb, „und ich wäre sicher später Ingenieur geworden, wenn ich nicht nach Ameri- ka hätte fahren müssen." „Warum haben Sie denn fahren müssen?" „Ach was!" sagte Karl und warf die ganze Geschichte mit der Hand weg. Dabei sah er lächelnd den Heizer an, als bitte er ihn selbst für das nicht Eingestan- dene um seine Nachsicht. „Es wird schon einen Grund gehabt haben", sagte der Heizer und man wußte nicht recht, ob er damit die Erzählung dieses Grundes fordern oder abwehren wolle. „Jetzt könnte ich auch Heizer werden", sagte Karl, „meinen Eltern ist es jetzt ganz gleichgiltig was ich werde." „Meine Stelle wird frei", sagte der Heizer, steckte im Vollbewußtsein dessen die Hände in die Hosentaschen und warf die Beine, die in faltigen, lederartigen, eisengrauen Hosen steckten, aufs Bett hin, um sie zu strecken. Karl mußte mehr an die Wand rücken. „Sie verlassen das Schiff?" „Jawoll, wir marschieren heute ab." „Warum denn? Gefällt es Ihnen nicht?" „Ja, das sind so die Verhältnisse, es entscheidet nicht immer, ob es einem gefällt oder nicht. Übrigens haben Sie recht, es gefällt mir auch nicht. Sie denken wahrscheinlich nicht mit Entschlossenheit daran Heizer zu werden, aber gerade dann kann man es am leichtesten werden. Ich also rate Ihnen entschieden ab. Wenn Sie in Europa studieren wollten, warum wollen Sie es denn hier nicht. Die amerikanischen Universitäten sind ja unver- gleichlich besser." „Das ist ja möglich", sagte Karl, „aber ich habe ja fast kein Geld zum Studieren. Ich habe zwar von irgend jemandem gelesen, der bei Tag in einem Ge- schäf gearbeitet und in der Nacht studiert hat, bis er Doktor und ich glaube Bürgermeister wurde. Aber dazu gehört doch eine große Ausdauer, nicht? Ich fürchte, die fehlt mir. Außerdem war ich gar kein besonders guter Schüler, der Abschied von der
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