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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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Jana hat die Augen geschlossen, manchmal blinzelt sie und hebt leicht den Kopf, dann sinkt sie mit einem erlösten Lächeln zurück ins Kissen. Mir schwirrt der Kopf. Ich denke nicht, und doch ist mir, als begriffe ich so einiges.

 
     
     
     
     
    F rau Hiller«, sagt die Ärztin bei der Abendvisite, »es gibt da eine neue Behandlungsmethode, die Ihnen vielleicht helfen könnte.«
    Ich horche auf.
    »Dafür müssten Sie allerdings in die Staaten«, fügt sie hinzu.
    »Nein«, sagt Jana resolut.
    »Aber Jana«, protestiert ihre Mutter. »Wenn es dir doch helfen kann!«
    »Mir kann nichts mehr helfen«, sagt Jana. Sie verzieht keine Miene, sie stellt es einfach fest, als würde sie feststellen, dass keine Milch mehr im Kühlschrank steht.
    »Frau Hiller, das können Sie so doch nicht sagen«, wendet die Ärztin ein. »Wenn Sie sich so hängen lassen, machen Sie es uns nicht leichter.«
    »Ein Placebo«, sagt Jana freundlich. »Ich verstehe schon. Aber ich glaube nicht an Placebos, also vergessen Sie’s. Mich kann nur noch ein Wunder retten. Aber an Wunder glaube ich auch nicht.«
    Die Ärztin öffnet den Mund, aber Jana schüttelt den Kopf.
    »Danke schön«, sagt sie, »aber nein, danke.«
    »Wollen Sie nicht wenigstens mal eine Broschüre dazu lesen?« Mit hilfloser Gebärde unterstreicht die Ärztin ihren letzten Versuch.
    »Ich habe keine Zeit mehr, um Broschüren zu lesen«, antwortet Jana leise. »In ein paar Tagen bin ich tot.«
    Als die Ärztin das Zimmer verlässt, folge ich ihr.
    »Stimmt das?«, frage ich sie. »Nur noch ein paar Tage?«
    »Das kann ich nicht sagen«, sagt sie. »Es können auch noch Wochen sein. Aber nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich es sage, Herr Hiller – entweder, Ihre Frau weiß mehr als ich, oder sie ist einfach unglaublich stur.«
    »Glaubst du mir?«, fragt Jana, als ich ins Zimmer zurückkomme.
    »Natürlich«, antworte ich prompt. »Aber wer weiß – so eine neue Behandlungsmethode …«
    Jana schüttelt den Kopf.
    »Ich weiß, was mich erwartet«, sagt sie. »Und jetzt will ich nicht mehr darüber reden.«
    Ich zucke die Schultern.
    »Bleibst du heute Nacht bei mir?«, fragt sie.
    »Hast du schon einmal gefragt«, sage ich. »Na klar bleibe ich.«
    Der Abend vergeht in Eintracht. Wir reden wenig; es ist nichts mehr zu sagen. Ich lese Jana ihr Lieblingsgedicht vor, mit der Seele, die ihre Flügel ausbreitet und nach Hause fliegt. Als es elf Uhr ist, wendet sie sich an ihre Mutter.
    »Mama«, sagt sie. »Du bist bestimmt todmüde.«
    »Ach was«, sagt ihre Mutter, obwohl sie in der letzten halben Stunde ständig gegähnt hat.
    »Geh schlafen, Mama«, sagt Jana. »Wir kommen schon zurecht.«
    Ihre Mutter schüttelt den Kopf.
    »Ich bleibe bei dir«, sagt sie.
    »Wir sehen uns morgen wieder«, verspricht Jana. »Geh schlafen.«
    Ihre Mutter protestiert noch ein wenig, der Form halber, dann zieht sie sich zurück.
    »Arme Mama«, sagt Jana. »Henri, kümmerst du dich um Mama, wenn ich nicht mehr da bin?«
    Ich nicke.
    »Es reicht, wenn du sie hin und wieder anrufst«, meint sie. »Oder schick ihr was zum Geburtstag. Eine Kleinigkeit.«
    »Mach ich«, sage ich.
    Jana selbst scheint nicht müde zu sein. Im Gegenteil, sie wirkt aufgedreht. »Weißt du noch«, beginnt sie, »unser Urlaub in Griechenland?«
    »Natürlich weiß ich das noch«, sage ich.
    »Wie wir in dem Hotel gelandet sind, wo sie uns den doppelten Preis berechnen wollten?«
    Ich nicke.
    »Und dann haben wir doch noch diese kleine Pension gefunden … das war so schön, bei Dimitos … so hieß er doch?«
    Dimitos hatte mal in Deutschland gelebt, und zwar in Janas Heimatstadt. Als er das beim Durchblättern ihres Reisepasses zufällig entdeckte, nahm er uns wie alte Bekannte auf. Vor allem Jana.
    »Sag mal«, fragt sie, »warst du damals eigentlich eifersüchtig?«
    Ich lag damals auf unserem Bett, auf meiner Hälfte, es waren zwei schmale Betten, aneinandergeschoben; ich erinnere mich genau. Eifersüchtig? Ich hätte ihn umbringen können, diesen Sack, sechzig Jahre alt und schmeißt sich an meine Freundin ran, mit seinen grau melierten Locken und seinem widerlichen Brustpelz.
    »Ein bisschen«, sage ich.
    Jana nimmt meine Hände in ihre.
    »Das war nichts«, sagt sie. »Ich fand ihn nur lustig, das war alles. Ich liebe dich, Henri.«
    Ich komme mir vor wie in einem Theaterstück. Auf alles, was sie sagt, gibt es nur eine richtige Antwort – so auch jetzt:
    »Ich liebe dich auch, Jana.«
    Ich küsse sie

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