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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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Sekretärin verwöhnen. Ehrlich gesagt, ich habe es selbst bei ihr versucht. Ich bin immerhin der Chef! Ich führe sie aus in teure Restaurants, ich erhöhe ihr beinah monatlich das Gehalt, aber sie lässt mich nicht ran. Wie machen Sie das, Hiller? Das will ich wissen.«
    Ich schüttle den Kopf.
    »So ist das nicht«, setze ich an. »Sie sehen das falsch.«
    »Ich will nicht undankbar sein«, sagt er. »Bitte, teilen Sie Ihr Geheimnis mit mir.«
    »Ich weiß nicht –«
    »Bitte«, fleht er. Mit Mühe hält er sein Lächeln aufrecht. Er schaut mich an, als wäre er in Seenot, weit draußen im Ozean, und ich der Einzige, der ihm einen Rettungsring zuwerfen kann.
    »Ich will nur, dass Sie mir erklären, wie Sie das machen«, wiederholt er. »Mehr nicht.«
    »Ich weiß es selbst nicht«, gebe ich zu.
    »Das habe ich befürchtet«, sagt er mutlos. »Sie machen es einfach, nicht wahr? Es liegt in Ihnen, die Fähigkeit zum Glücklichsein. Man hat es, oder man hat es nicht, man kann es nicht lernen, das meinen Sie doch?«
    »Nein«, widerspreche ich. »Das meine ich nicht.«
    Ich meinte, dass ich es selbst auch nicht besser weiß. Na ja, ich weiß, was im Leben zählt, Erfolg und so weiter, an der Spitze stehen, mit den Frauen und so. Aber wie man da hinkommt, keine Ahnung. Ich bin nur ein Hillerwurm, denke ich mir.
    »Sie lächeln!«, ruft der Chef. »Ich sehe es genau!«
    Langsam wird mir die Situation unangenehm. Was soll ich dem Chef sagen? Vielleicht sollte ich ihn zu Fritz schicken?
    »Die Sache ist so«, beginne ich. »Wir sind alle Würmer.«
    Der Chef macht große Augen.
    »Auf einem höheren Niveau«, füge ich hinzu. »Wir sind Tiere, weiter nichts. Wir schlafen, essen, trinken, pflanzen uns fort, wir arbeiten, wir bauen Häuser, wir kaufen Fernseher. Verstehen Sie? Wenn Sie das verstehen, dann sind Sie auf dem richtigen Weg.«
    Er nickt leicht. Mit offenem Mund saugt er meine Worte ein.
    »Wir können die Welt nicht ändern«, sage ich. »Dinge passieren uns, genauso, wie sie Würmern passieren. Aber wir können selbst bestimmen, ob wir uns durch die Dinge erschüttern lassen oder nicht. Wir müssen lernen, ruhig und gelassen zu sein.«
    »Gelassen«, wiederholt er.
    »Genau.«
    »Und mit den Frauen?«, fragt er. »Wie geht das?«
    »Frauen«, sage ich, »den Frauen geht es genauso. Das ist das Geheimnis. Man muss die Frauen spüren lassen, dass man weiß, dass es ihnen genauso geht. Dann wird man ihr Komplize. Schicksalskomplize, sozusagen.«
    Schicksalskomplize. Fantastisch. Ich wachse über mich hinaus.
    »Ich verstehe«, sagt der Chef. »Man darf sich nicht über den anderen stellen. Schließlich sind wir alle gleich, wir werden geboren, wir leben, wir verschwinden wieder. Wenn man das begreift, diese Gemeinsamkeit, kann man wirklich eins werden mit den anderen.«
    Ich begreife nicht ganz, was er meint, aber ich nicke weise.
    »So einfach!«, ruft der Chef begeistert aus. »Das Leben beginnt jeden Tag neu, wenn man nur die Augen öffnet. Man muss sich dem Moment hingeben, dem Moment, den man mit seinen Mitmenschen teilt. Wir alle sind machtlos, aber in der Akzeptanz unserer Machtlosigkeit liegt unsere Freiheit, unser Glück!«
    Er strahlt mich an, kindlich, unschuldig, beinah wie Jana, wenn ich ihr im Krankenhaus vorlese.
    »Hiller«, sagt er vorsichtig, »darf ich Sie umarmen?«
    Bevor ich antworten kann, fällt er mir um den Hals. Als ich sein Büro verlasse, stehen Theodora und Emil im Gang und tuscheln.
    »Na?«, frage ich und lächle sie an. Überrascht lächelt Theodora zurück. Emil schießt das Blut ins Gesicht.

 
     
     
     
     
    E igentlich wollte ich noch bei Fritz vorbeischauen, wegen seiner Frau, sicherstellen, dass sie noch lebt. Inzwischen aber kommen mir meine Befürchtungen lächerlich vor. Warum verlässt sie ihn nicht, wenn er sie schlägt? Na also. Sie muss es selbst wissen. Jetzt habe ich keine Zeit mehr, ich muss ins Krankenhaus.
    »Es geht ihr schlecht«, flüstert mir Janas Mutter zu. Sie wirft sich an meine Brust, sobald ich das Krankenzimmer betrete. Sie riecht nach Schweiß und 4711.
    Jana öffnet die Augen erst, als ich an ihr Bett trete. In ihrem Gesicht kommt mir nur das Lächeln vertraut vor. Ihr Kinn hat Ecken bekommen, die es nie hatte, ihre Wangen sind schmaler, ihre Stirn höher.
    »Henri«, murmelt sie. Mit der Zunge fährt sie sich über die trockenen Lippen. Ich gebe ihr einen Kuss. In ihrem Geruch ist nur Jana, keine Spur von Krankheit, sie riecht gut. Ich setze mich

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