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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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erwischt, du warst dem Zusammenbruch nahe.«
    »Ich …«
    »Versteh mich nicht falsch«, unterbricht sie mich, »es war rührend, wie erschrocken und traurig du warst. Wenn er sich bloß nichts antut, dachte ich; das war natürlich übertrieben, aber ich habe es trotzdem gedacht. Ich bin so dankbar, Henri, dankbar für die tiefe Liebe, die du mir zeigst, immer und immer wieder.«
    Jetzt hält sie meine Hand mit ihren beiden Händen fest. Ihr Griff ist warm und trocken.
    »Die Hochzeit!«, flüstert sie. »Henri, meine Zeit ist so kurz geworden, aber es ist auch eine glückliche Zeit geworden. Ich habe mich nicht getäuscht. Du bist der Richtige. Ich bin glücklich. Weißt du, wie viele Menschen den Richtigen niemals finden? Und weißt du auch, warum? Weil sie nicht daran glauben. Wenn sie den Richtigen doch finden, merken sie es gar nicht, oder sie lassen ihn wieder laufen und merken es erst, wenn es zu spät ist. Es gibt ja genug andere, denken sie, und darum weisen sie ihrem Glück die Tür. Henri, ich hätte dir so gerne Kinder geschenkt.«
    Janas Mutter ist offensichtlich wieder aufgewacht, denn sie bricht hinter meinem Rücken in Tränen aus.
    »Mama, heul doch nicht«, sagt Jana bestürzt.
    Janas Mutter kommt zu uns und nimmt meine freie Hand.
    »Ich hätte so gern Enkel gehabt«, nuschelt sie zwischen den Schluchzern, die ihren mageren Altfrauenkörper beben lassen. »Von euch. Oh, Henri, ich muss mich bei dir entschuldigen.«
    Oh, Henri, das höre ich die letzte Zeit so oft, ich frage mich, ob mir schon ein Heiligenschein hinter den Ohren wächst. Hat der Chef mich nicht sogar mit »Oh, Hiller« angesprochen?
    »Es ist schon gut«, sage ich. Langsam wird mir all das Geheule und Händchenhalten zu viel.
    »Nein«, flennt sie weiter, »es ist nicht gut, ich muss mich wirklich entschuldigen.«
    »Sag’s ihm«, sagt Jana.
    »Habt ihr noch nicht darüber gesprochen?«, fragt Janas Mutter. »Wirklich nicht?«
    »Nein, haben wir nicht«, sagt Jana in einem typischen Tochterton. »Henri weiß von nichts.«
    »Es tut mir so leid«, schluchzt Janas Mutter und verfallt in einen regelrechten Heulkrampf. Mir bleibt keine Wahl. Wieder schließe ich sie in meine Arme. Jana belohnt mich mit einem Blick voll Rührung und Bewunderung.
    Als Janas Mutter sich beruhigt hat, ziehe ich ihren Stuhl zum Bett heran.
    »Ich dachte«, sagt sie kleinlaut, »dass es dir nur ums Erbe ging. Dass du Jana nicht wirklich liebst. Dass du heimlich mit anderen Frauen ins Bett gehst, mit dieser Zvarovska.«
    »Was für ein Erbe?«, frage ich verwirrt.
    »Jana hat dich als Haupterben in ihr Testament aufgenommen.«
    Jana und ich haben nie über ein Testament gesprochen, in den letzten Wochen nicht und davor erst recht nicht. Aber was soll ich schon erben von Jana? Den klapprigen Schaukelstuhl von ihrem Großvater? Das bescheuerte Windspiel auf der Terrasse?
    »Ich habe Jana im letzten Jahr die Wohnung in Hamburg überschrieben«, erklärt Janas Mutter. »Wegen der Steuer.«
    Ich wusste nicht, dass Janas Mutter mehrere Wohnungen besitzt. Warum läuft sie dann eigentlich immer herum wie eine Vogelscheuche?
    »Eine Altbauwohnung«, sagt Jana. »Von den Großeltern.«
    »Die Wohnung ist viel wert«, sagt ihre Mutter. »Fünf Zimmer, renoviert und in bester Lage. Und sie wird dir gehören, wenn …« Sie stockt.
    »Wenn ich tot bin«, sagt Jana ruhig.
    »Aber …«, stottere ich.
    »Bitte, Henri«, sagt Jana. »Sei ihr nicht böse.«
    »Es tut mir leid«, wiederholt ihre Mutter. »Ich habe mich geirrt. Es sind wohl doch nicht alle Männer so wie …«
    »Wie Jakob«, entfährt es mir. Entgeistert starrt sie mich an. Jana bricht in Lachen aus. Es ist das alte Janalachen, nur ein bisschen scheppernder als früher, und es erinnert mich an unsere ersten Wochen, in denen alles noch neu und frisch war und ich Jana mit ganz anderen Augen gesehen habe …
    »Weinst du?«, fragt Jana.
    Ich wische mir etwas Feuchtigkeit aus dem Augenwinkel.
    »Ich weiß nicht«, sage ich und seufze.
    »Die Wohnung –«, beginnt Janas Mutter wieder, aber ihre Tochter fährt ihr ins Wort.
    »Bitte«, sagt sie, »kein Wort mehr von Wohnungen.«
    So sitzen wir beisammen, wir drei, und alles ist still und gut. Beinah wie eine Familie, denke ich, aber ich halte meinen Mund. Das späte Nachmittagslicht fällt durch die Gazevorhänge und funkelt im kleinen Spiegel über dem Wäscheschränkchen. Durch das gekippte Fenster hört man einen Vogel rufen, wieder und wieder, unermüdlich.

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