Der Waldsteig
Als er eine so große Streke, die er früher nach der einen Richtung gemacht, jezt nach der entgegengesezten zurükgelegt zu haben glaubte und eine gleiche dazu, hielt er wieder inne und schrie abermals – allein er bekam wieder keine Antwort, es war nach seiner Stimme wieder alles stille. Hier war es auch ganz anders als an dem früheren Orte, und wildfremde Gegenstände standen da. Die Buchen hatten aufgehört; es standen Tannen da, und ihre Stämme strekten sich immer höher und wilder. Die Sonne stand schon schief, es war Nachmittag geworden, auf manchem Moossteine lag ein schrekhaft blizendes Gold, und unzählige Wässerlein rannen, eins wie das andere.
Herr Tiburius konnte es sich nicht mehr läugnen, daß er ganz und gar in einem Walde sei, und wer weiß, in welch großem. Er war nie in der Lage gewesen, sich aus solchen Sachen heraus finden zu müssen, und seine Noth war groß. Dazu gesellten sich noch andere Dinge. Er hatte in dem Hin- und Hergehen durch das Gras, als er von dem Pfade abgewichen war, um die Steinwand zu finden, nasse Füsse bekommen, er war im Schweise, und hatte nur einen einzigen dünnen Rok, der andere lag im Wagen, er durfte sich gar nicht niedersezen, um auszuruhen, so schön die Steine da lagen; denn er müßte sich verkühlen – und endlich lag auch das Fach mit der Arznei, die er heute Nachmittag zu nehmen hatte, zu Hause. Er sah das eine recht gut ein, was hier das nothwendigste war, nehmlich, statt hin und her zu laufen, lieber auf dem Pfade immer in derselben Richtung fort zu gehen; denn irgend wohin mußte der Pfad doch führen, da er so ausgetreten war. Es war noch ein großes Glük, daß wenigstens ein Pfad vorhanden war; denn welches Unheil wäre es gewesen, in einem weglosen Walde in diesem Zustande zu stehen.
Herr Tiburius entschloß sich also nach der zulezt eingeschlagenen Richtung des Weges fort zu gehen.
Er knöpfte den Rok, den er an hatte, fest zu, stülpte die Kragenklappen desselben empor, legte sie sich fest an das Angesicht und ging sehr emsig fort. Er ging fort, und fort, und fort. Die Hize des Körpers nahm überhand, der Athem wurde kurz, und die Müdigkeit wuchs. Endlich ging der Pfad bergauf und war ein gewöhnlicher Waldsteig geworden. Aber Tiburius kannte Waldsteige gar nicht. Steintrümmer der größten und fürchterlichsten Art lagen rechts und links an dem Wege, der oft über sie dahin ging. Einige waren in Moose gehüllt, die verschiedenes noch nie gesehenes Grün zeigten, andere lagen nakt und ließen den scharfen gewaltigen Bruch sehen. Großfingrige Fächer von Farrenkräutern standen da, und die hohen diken Stämme der Tannen, die aus all dem Dinge empor ragten oder auch da lagen, waren, wenn sie Tiburius angriff, feucht. – Eine Weile bestand der Pfad aus lauter kleinen Prügeln, die quer lagen, manchmal fast im Wasser schwammen, bei jedem Tritte sich rührten, oder doch, wenn sie selbst fest waren, ausglitschen machten. – Dann stand ein steiler Berg da. Der Pfad klomm ihn unverdrossen hinan, und Tiburius ging auf ihm fort. Als er oben angekommen war, war es eben und der Boden war sandig. Der Pfad lief hier gleichsam emsig und freudig vor Tiburius her, und dieser folgte ihm. Er wurde später aus dem scharfen Sande wieder schwarz, war breit, troken, drükte bei jedem Schritte gegen den Fuß, als ginge man auf Federharz und schlang sich so fort. Tiburius betrat ihn in sein Schiksal ergeben. Endlich war es Abend geworden, unheimliche Amselrufe tönten, und Tiburius ging in seinen unzulänglichen Rok geknöpft weiter. – Nach einer Weile war es, als rauschte es irgend wo unten. – Tiburius ging fort, das Rauschen tönte näher, aber es war nur Wasser, das den Wald eher schauerlicher machte, und von dem keine Hülfe zu erwarten war. Tiburius ging noch eiliger fort, er ging fort, und fort – und leider wieder aufwärts. Endlich, da er um einen sehr großen Stein, der gleichsam alles vor ihm verdunkelt hatte, hinum gegangen war, senkte sich der Weg abwärts und wurde sandig und geröllig. Auch standen mit einem Male nicht mehr die hohen Tannen neben ihm, sondern allerlei lustiges Gebüsch von dichtem Laube, namentlich Haselstauden, was jederzeit ein Zeichen ist, daß ein Wald aufhöre und man sich im Saume befinde. Herr Tiburius kannte aber solche Zeichen nicht. Er ging noch die Streke unter dem Gebüsche und auf den scharfen Steinen weiter, es wurde lichter, die Gebüsche hörten auf, der Wald war aus, und er stand hoch auf einer Wiese im
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