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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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weiter aufwärts zu schieben. Es gelang ihm noch, etwa dreißig Zentimeter Höhe zu gewinnen, aber dann steckte er hoffnungslos fest. Seine Schultern und Hüften waren zu breit, um durch den engen Höhlenarm weiter hindurchzukommen. Mit wütender Anstrengung versuchte er sich zu strecken, voranzuschieben. Es war vergeblich.
    Die Luft ging ihm aus. Wasser drang ihm in Nase und Mund. Er begann Wasser zu schlucken. Die Besinnung verließ ihn, und er wußte nicht mehr, was mit ihm geschah.
    Als er wieder zu sich kam, spürte er zunächst nur Schmerzen. Seine Sinne, mit Ausnahme der Empfindungsnerven, funktionierten noch nicht. Er sah nichts, er hörte nichts, er schmeckte nichts, aber es tat ihm alles weh. Es dauerte sogar geraume Weile, bis er sich wieder bewußt wurde, der Rote Jim zu sein. Der Rote Jim!
    Als ihm dieses Bewußtsein seiner selbst von neuem dämmerte, konnte er den zweiten Gedanken fassen, daß ihm irgendein Unglück geschehen war. Irgendein Unglück …
    Er versuchte, sich zu rühren. Die Finger konnte er bewegen, und er spürte jetzt, daß sie naß waren. Die Augen mußte er aufmachen. Er war ein Waldläufer und Präriejäger, und er mußte die Augen aufmachen, jawohl. Mühsam zog er die Lider hoch. Sein Schädel brummte und schmerzte abscheulich.
    Um ihn war es dunkel. Es rauschte um ihn. Entweder rauschte es ihm in den Ohren, oder …
    … oder Wasser rauschte. Wasser!
    Mit einem Schlage wurde dem Roten Jim wieder klar, was geschehen war. Sobald er das Wort »Wasser« denken konnte, war es, als ob überhaupt ein Schleier, der über seinem Gedächtnis gelegen hatte, weggezogen worden sei.
    Wo befand er sich jetzt? Das mußte er zunächst feststellen. Aber nicht nur der Schädel, auch Schulter, Rücken, Kreuz, Arme und Beine schmerzten ihn heftig. Vorsichtig versuchte er ein Glied nach dem anderen zu rühren und den Kopf zu drehen.
    Es schien, daß er keinen Knochen gebrochen hatte. Beulen hatte er davongetragen, Prellungen. Was hieß das schon! Damit konnte er leicht fertig werden. Aber wo befand er sich?
    Seine immer noch schlecht funktionierenden Augen nahmen einen vagen Lichtschimmer wahr. Oder hatte er Halluzinationen? Sein Schädel und sein Gehirn schienen mehr abbekommen zu haben, als er beim Erwachen geglaubt hatte. Vielleicht hatte er eine Gehirnerschütterung. Schlecht war ihm jedenfalls. Er erbrach sich, und dabei wurde ihm schwindelig, und er fiel wieder in Ohnmacht.
    Bei seinem neuen Erwachen fühlte er weniger Schmerzen, aber es war ihm sehr schwach zumute, jämmerlich schwach. Am liebsten wäre er liegengeblieben, um vollends zu sterben, obgleich ihm bewußt war, daß er der Rote Jim sei und daß mindestens er selbst bedauern müsse zu sterben, wenn ihm auch kein anderer nachjammern konnte. Die anderen Menschen wurden eine Plage los, wenn der Rote Jim krepierte. Diese Vorstellung ärgerte den Mann. Die anderen sollten ihn keineswegs los werden. Sie sollten sich nicht freuen können, daß er nicht mehr da war und daß sie nicht mehr mit ihm zu rechnen brauchten. Er gab sich selbst einen Ruck. Durst und Hunger hatte er, und er fror. Das Rauschen war nicht mehr in seinem Kopf. Es rauschte über ihm oder neben ihm oder unter ihm.
    Wasser rauschte, ja, Wasser, das hatte er doch schon einmal festgestellt! Es war Zeit, daß er sich danach umsah. Er wälzte sich vom Rücken auf den Bauch, rutschte dabei ein Stück zur Seite, weil der rauhe Boden abschüssig war, und tappte mit der rechten Hand ins Wasser. Gierig trank er. Dann kroch er wieder zur Seite.
    Was das wohl mit dem Lichtschimmer auf sich hatte? Der Schimmer schien keine Selbsttäuschung zu sein, sondern wirklich zu existieren. Roter Jim starrte nach der matten Andeutung von Tageshelligkeit. Wie von einem Zauber, dem er noch nicht ganz traute, angezogen, kroch er auf dem rauhen Fels neben dem fließenden Wasser zu dem Schimmer hin.
    Plötzlich traf ihn etwas Hartes an der Schulter. Er stockte erschreckt und bemerkte gleichzeitig, daß es um ihn herum polterte wie von einem Steinregen. Verdammt. Er zog den Kopf ein, und er hatte Glück. Es traf ihn kein zweiter Stein.
    Fluchen konnte er wieder. Soweit war er schon bei sich. Ängstlich und langsam kroch er weiter, immer in Richtung des Lichtschimmers. Je näher er diesem kam, desto deutlicher wurde die Helligkeit. Da mußte es hinausgehen aus dem Berg. Hinaus! Was für ein Glück! Der Teufel oder die Geister oder sein Stern oder der Berg oder was es überhaupt sein mochte, wovon sein

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