Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wohlfahrtskonzern

Der Wohlfahrtskonzern

Titel: Der Wohlfahrtskonzern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl - Lester del Rey
Vom Netzwerk:
nicht erwartet. Ich wollte eben antworten, aber sie hatte meine Wachsamkeit eingeschläfert; blitzartig fuhr sie mit der Nadel gegen mein Gesicht, und als ich unwillkürlich zurücktaumelte, griff sie mit der anderen Hand gleichzeitig nach der Gaspistole in meinem Gürtel. Ich hatte Glück, es war kein Holster, die Pistole rutschte nicht glatt heraus; das Vorderteil verklemmte sich, und ich gewann den Moment, den ich brauchte, um sie wegzustoßen. Sie wirbelte gegen die Gestellreihen und gab einen keuchenden Laut von sich. Die gefüllte Spritze krachte auf den Boden und vergoß ihren Inhalt in eine purpurn schimmernde Pfütze.
    Rena atmete tief ein und stand wie erstarrt da. In ihren Augen waren Tränen. »Gut gemacht, Mr. Wills«, sagte sie in einem Ton völliger Hoffnungslosigkeit.
    Ich antwortete scharf: »Sind Sie verrückt? Das ist Ihr Vater. Wollen Sie ihn umbringen? Für so etwas braucht man unbedingt einen Arzt. Sie sind eine gebildete Frau, Rena, keine abergläubische Hinterwäldlerin. Sie sollten es wirklich besser wissen!«
    Sie lachte – es war ein kaltes Lachen. »Gebildet!« Sie spuckte das Wort aus. »Eine ‚Hinterwäldlerin’ hätte Sie über den Haufen geschossen und ihr Ziel erreicht. Ich bin gebildet, jawohl! Zweihundert Männer, ein Flugzeug, zwanzig Frauen, die sich alle selbst aufs Spiel setzen, nur um mich durch diese Tür zu bringen. All unsere Pläne … und ich kann mich auf keine Methode besinnen, Sie schnell genug zu töten. Ich bin zu gebildet, um Sie zu hassen, Anspruchsregler Wills!« Sie schien an den Worten zu ersticken. Dann schüttelte sie dumpf den Kopf. »Es ist vorbei. Nehmen Sie mich fest, machen Sie der Sache ein Ende.«
    Ich holte tief Luft. So weit hatte ich noch gar nicht gedacht. Es stimmte, das war das Offensichtliche. Sie hatte selbst zugegeben, daß der Aufruhr draußen nur ein Ablenkungsmanöver war, um sie hinunter in die Gewölbe gelangen zu lassen. Und jeder, der einen derart organisierten Aufruhr gegen die Gesellschaft planen und durchführen konnte, wurde automatisch zu meinem natürlichen Feind.
    Aber vielleicht war ich selbst auch zu gebildet und zu weich. Sie hatte Tränen in den Augen gehabt, als sie sich über den Körper ihres Vaters beugte. Ich hatte noch nie gehört, daß Verschwörer weinten.
    Und ich hatte ein wenig Mitleid mit ihr. Ich wußte, was es hieß, jemanden zu beweinen, den man liebt. Trotz all unserer Probleme, trotz allem hätte ich alles getan, um Marianna wieder zum Leben zu erwecken. Aber das konnte ich nicht. Rena glaubte, sie könne es.
    Ich wollte sie nicht festnehmen und einsperren lassen.
    Die Fähigkeiten des menschlichen Geistes sind immer wieder wunderbar! Ich mußte sie nicht festnehmen. Kaum hatte ich mich entschlossen, als mir auch schon die Gründe zu meiner Verteidigung zuströmten: Ich durfte sie nicht verhaften. Es war sogar meine Pflicht, es nicht zu tun. Hatte nicht Defoe selbst mir den Befehl erteilt, die Untergrundbewegung auszuforschen, zu der sie gehörte? Würde es nicht viel einfacher für mich werden, wenn ich ihr Vertrauen gewann und sie durch List zur Preisgabe ihrer Geheimnisse brachte, als wenn ich sie den Expedienten zum Verhör übergab?
    In Wahrheit war die Antwort natürlich Nein. Rena war nicht das Mädchen, das sich überlisten ließ, dessen war ich mir sicher. Aber es war wenigstens eine Begründung, und so hielt ich daran fest. Ich hustete und sagte: »Rena, wollen Sie einen Handel mit mir machen?«
    Sie starrte mich düster an. »Einen Handel?«
    »Ich habe ein Zimmer im Umberto. Wenn ich Sie hier herausbringe, wollen Sie dann auf mein Zimmer gehen und dort auf mich warten?«
    Für eine Sekunde schlössen sich ihre Augen zu schmalen Spalten, dann öffnete sie die Lippen, um etwas zu sagen, nickte aber nur.
    »Ihr Wort, Rena? Ich möchte Sie nicht verhaften lassen!«
    Hilflos blickte sie auf die Pfütze am Boden und dann wehmütig auf den Plastiksack, der ihren Vater umschloß. »Mein Wort darauf, aber Sie sind ein Narr, Tom!«
    »Ich weiß«, gestand ich ein.
    Ich trieb sie eilig die Rampe hinauf, hinauf zu dem Tumult über uns. Falls er vorbei war, mußte ich sie irgendwie herausreden, irgendwie den Umstand vertuschen, daß sie in den Gewölben gewesen war. Falls er immer noch andauerte …
    Das war der Fall.
    Wir mischten uns unter die tobenden und brüllenden Menschenhaufen. Ich schob sie in den Hauptwartesaal und sah, wie sie sich durch die Türen drängte. Bereits zu diesem Zeitpunkt beruhigten

Weitere Kostenlose Bücher