Der Wunsch des Re
versuchte er sie zu beruhigen. »Du wirst sicher noch mehr Aufgaben erhalten, die du in ihrem Auftrag hier zu erledigen hast.« Er drückte sie an sich und betete, dass er recht behalten würde. Auch er könnte es nicht ertragen, sich von ihr zu trennen.
Schweigend verbrachten sie den Rest des Abends. Jeder hing seinen Gedanken nach, bis es Zeit wurde, zu Bett zu gehen.
* * *
Am nächsten Morgen zelebrierte Ramses das erste Ritual des Tages und besichtigte anschließend sein Heiligtum und seine Grabstätte. Er war des Lobes voll. Alles war so, wie er es gewünscht hatte. Andächtig durchstreifte er die Hallen und Höfe, blieb vor den Statuen der Götter und seiner eigenen stehen, betrachtete die wunderschönen Szenen an den Wänden und Säulen und las die heiligen Schriften, die sie zierten. Die Halle des Osiris glich zwar eher einer Lagerstelle für Baumaterialien. Trotzdem spürte man bereits jetzt die Erhabenheit dieses heiligen Orts, der am kommenden Tag von ihm geweiht werden sollte.
»Ich bin zufrieden mit dem, was ich sehe«, wandte er sich der Priesterin zu, nachdem er seine Grabstätte in Augenschein genommen hatte. »Ich habe mich nicht in dir getäuscht. Du hast alle Aufgaben zu meiner vollsten Zufriedenheit erfüllt.« Sein Blick schweifte wieder zu den Malereien im dritten Gang. Sie zeigten ihn in Begleitung der wichtigsten Götter, doch vor allem war ein Gott allgegenwärtig – der große Totengott Osiris. »Es ist in der Tat wunderschön und gelungen«, murmelte er mehr zu sich selbst und wandte sich wieder dem Ausgang zu. »Beende deine Arbeit so, wie du sie begonnen hast, Meritusir!«, befahl er über die Schulter hinweg, während er auf den Ausgang zustrebte.
Vor dem abendlichen Festmahl befahl er die hohen abydonischen Würdenträger in den Palastbereich des Tempels und ernannte Meritusir zur Zweiten Prophetin des Osiris sowie zum Aufseher über die Königlichen Bauarbeiten.
Die Priesterin glaubte zu träumen, als sie den Pharao ihre neuen Ämter verkünden hörte. Auf dem Weg zum königlichen Podest musste sie sich regelrecht um einen festen Schritt bemühen, so sehr war sie überrascht und überwältigt zugleich. Nie hätte sie es sich träumen lassen, einmal dem Gott als seine Zweite Prophetin zu dienen.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie die freundlich lächelnden Gesichter der anderen Priester. Es entgingen ihr aber auch nicht die verständnislos dreinblickenden Mienen der unwissenden Würdenträger, von denen sich sicher niemand erklären konnte, warum der König eine völlig unbekannte Fremdländerin in dieses Amt berief. Hinzu kam noch, dass sie eine Frau war und kein Mann.
Sie kniete vor dem König nieder und berührte mit der Stirn den gefliesten Boden des Thronsaals. Ramses erlaubte ihr, sich wieder zu erheben, und aus den Händen des Pharaos nahm sie ihren Siegelring und den dazugehörigen Amtsstab entgegen.
* * *
Während Amunhotep zusammen mit Ramses im Süden nach neuen Goldvorkommen gesucht hatte, war Meritusir nicht untätig gewesen. Neben ihren Aufgaben im Tempel und auf der Baustelle hatte sie sich auch um ihre eigene Grabstätte gekümmert, die sie und Amunhotep vom Pharao geschenkt bekommen hatten.
Da sie aus Abydos nicht wegkam, hatte sie einen Brief an Nesamun verfasst mit der Bitte, ihr Haus der Ewigkeit aufmessen zu lassen, damit sie eine Vorstellung von den Räumlichkeiten bekam. Fünf Wochen später hatte sie die gewünschten Zeichnungen erhalten und arbeitete die erforderlichen Änderungen am vorhandenen Grundriss ein.
»Ramses’ Steinhauer haben den Eingang sowie die beiden oberen absteigenden Gänge komplett aus dem Gestein gemeißelt«, erläuterte sie ihrem Gemahl. »Auch ein Saal mit vier Pfeilern und ein daneben befindlicher Anbau sind bereits in groben Zügen vollendet worden. Die Arbeiten am dritten Korridor wurden dann nach nur ein paar Ellen eingestellt, da sich die Gesteinsmassen in diesem Bereich als schier unbezwingbar erwiesen haben.«
»Das ist mir bekannt«, erwiderte Amunhotep und blickte interessiert auf den Grundriss, in dem Meritusir mit roter Farbe die Änderungen eingefügt hatte.
»Dein Vater schreibt, dass die Wände und Decken im Eingangsbereich und im nachfolgenden oberen Gang mit den Texten aus dem
Buch der Pforten
in einem leuchtendem Blau auf weißem Untergrund verziert sind und den König in Begleitung der Götter zeigen. Über dem Eingangsbereich prangt eine riesige Sonnenscheibe, die von den Göttinnen Isis
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