Der Zauberer von Schreckenstein
Zum erstenmal stand er im Mittelpunkt und genoss es. „Ja, dann hab ich mir bei Bächle die Haare schneiden lassen und bin mit dem nächsten Bus nach Rosenfels weitergefahren. Von der Haltestelle hab ich mich rangepirscht. Aber die Mädchen waren alle auf der anderen Seite beim Sport. Also hab ich die Dinger auf die Treppe gestellt und bin mit dem Bus zurückgefahren.“
Die Ritter klatschten wie nach einer Theatervorstellung.
„Sehr gut!“ lobte Hans-Jürgen. „Ein prima Aufsatzthema!“
„Gib ihm nicht auch noch Tipps!“ rief der kleine Egon dazwischen.
Armin streckte ihm die Zunge raus. „Ich brauch keine. Ätsch! Von dir schon gar nicht. Mir fällt selber genug ein. Ich bin ja der Zauberer!“
Noch einmal wurde gründlich gelacht. Bis Ottokar abwinkte.
Gelassen sah er die hochrote halbe Portion an und sagte: „Nein, mein Lieber. Den Zauberer schlag dir aus dem Kopf. Das Ding ist für dich ein paar Nummern zu groß.“
Fleißiger Zauber
Ideen können ansteckend sein.
In diesen Tagen gab es keinen Ritter, der sich nicht insgeheim einmal ausgemalt hätte, wie das sein würde, hier auf der Burg als Zauberer zu leben. Alles zu können, was einem in den Sinn kommt — was für eine Freiheit! Die ganze Ritterschaft an der Nase herumführen, und keiner käme dahinter — was für eine Macht! Zauberer fallen ja nicht auf. Weil sie so selten sind, leben sie völlig unbemerkt unter den andern. Und plötzlich zaubern sie. Etwas weg oder her oder anderswohin. Und sind dabei, wenn die andern es entdecken und staunen und sich zu erklären versuchen, wie das wohl habe geschehen können — was für ein Spaß!
Besonders wenn sich die Größten und Klügsten die Köpfe zerbrechen und fündig werden, weil sie sich ja gegenseitig ihre Klugheit beweisen müssen.
Hier war der Ritterrat nicht zu schlagen. Mücke und Dieter hatten den Omnibusfahrplan gewälzt und festgestellt, dass ein Ritter nach Tisch zum Friseur fahren, sich die Haare schneiden lassen, nach Rosenfels weiterfahren, dort zwei Akkordeons absetzen, den Gegenbus erwischen und zur Teestunde wieder auf der Burg sein konnte. Auch zu Armins Geschichte war ihnen Einleuchtendes eingefallen. Die Geschichte selbst trauten sie ihm nicht zu. Woher also hatte er sie? Ganz einfach. Beim Friseur konnte er Mädchen von Rosenfels getroffen haben, und die hatten sie ihm erzählt. Der Rest ließ sich leicht dazuerfinden... Wenn er so was hört, muss das Herz jedes Zauberers höher schlagen. Es muss ihn beflügeln, den neunmalklugen Großen sofort den nächsten Streich zu spielen, damit sie sich wieder wundern und sehen, wie falsch sie gelegen haben mit ihren Theorien. Hindern wird sie das allerdings nicht, umgehend neue aufzustellen.
Simsalabim — überlegt der Zauberer —, wie und wo treffe ich sie am besten?
Dass die Burg immer gründlicher bewacht wird, ist für ihn kein Hindernis. Im Gegenteil, ein Ansporn! Aber er muss auch an seinen Ruf denken. Weil die Ritter nicht an Zauberer glauben, muss er künftig bei jedem Streich sozusagen eine Visitenkarte hinterlassen...
Unbemerkt begibt er sich in die Redaktion der Schulzeitung und tippt zwei Worte auf eine Matrize. Nur zwei Worte: DER ZAUBERER! Dann vervielfältigt er sie und verlässt die Redaktion, genauso unbemerkt, wie er sie betreten hat. Jetzt ist er gerüstet und braucht bloß noch zu zaubern. Sein Streich soll alle treffen, die ganze Ritterschaft. Bevor sie wieder übermütig wird.
Eine Kleinigkeit!
Simsalabim — und nachmittags vor der Teepause läuft in der ganzen Burg kein Wasser mehr!
Das Staunen ist groß, und der Zauberer macht sich einen Spaß daraus mitzustaunen, ja er fragt sogar: „Wie gibt’s denn so was? Wo wir doch alles bewachen!“
Ottokar, Andi und Werner redeten nicht lange. Sie verstanden sich auf Wasserleitungen und gingen nachschauen. Weil sie ja nicht wussten, wo der Fehler lag, nahmen sie alle verfügbaren Dietriche und Nachschlüssel mit. Vor allem die von Dampfwalze, der die meisten besaß. Doch sie suchten vergebts . Etwas anderes lag da in den Schubladen — ein Zettel, so groß wie eine Visitenkarte. Darauf standen zwei Worte: DER ZAUBERER.
Sie zogen trotzdem los, um die Wasserleitungen zu überprüfen, ärgerlich über diesen erneuten Zwischenfall. Ohne Schlüssel aber kamen sie nicht an den Haupthahn heran. Die Tür war abgesperrt.
Während vom Sport verschwitzte Ritter ersatzweise in den Kappellsee sprangen, bemühten sich die drei über die ehemalige Burgküche in
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