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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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hatte. Ich glaubte nun, die Leute dachten, ich hätte das gleiche getan. Nur wenige Tage zuvor hatte ich den kleinen Zeus besucht, der gerade besorgt über seinen Grundbesitz spaziert war, weil er sehen wollte, ob er es schaffen könnte, seinem Land noch den einen oder anderen Kelch Getreide abringen zu können, um in die Klasse der schwerbewaffneten Fußsoldaten aufzusteigen und ebenfalls nach Sizilien fahren zu können. Falls man ihn nämlich nach Sizilien schicken würde, so meinte er, könne er wahrscheinlich durch Sold und Plünderung genügend zusammenbekommen, um mir das zurückzuzahlen, was er mir noch schulde. Wie ich ihn kannte, hatte er sein Ziel mittlerweile erreicht und durfte nun wohl mit nach Sizilien ziehen. Die ganze Welt würde dort sein, bis auf mich und Aristophanes.
    Kallikrates würde allerdings auch nicht fahren, sagte mir meine innere Stimme. Für den Heeresdienst war er etwas zu alt, und er hatte es abgelehnt, bezüglich seines Alters zu lügen. Außerdem sagte er, daß bei einem Menschen, der sich alles Erdenkliche einfallen lasse, um am Krieg teilnehmen zu dürfen, etwas mit dem Gehirn nicht ganz in Ordnung sein könne. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fand ich in gewisser Weise darin Trost, zumal die meisten der Leute, die ich am höchsten schätzte, bereits zu alt waren, um in den Krieg zu ziehen. Das bereitete mir allerdings in einer anderen Richtung Sorgen (warum hatte ich fast ausschließlich mit alten Menschen Freundschaft geschlossen, und was würde aus mir, wenn sie stürben?), und zwischen diesen beiden besorgniserregenden Gedankengängen, die durchaus miteinander in Konflikt standen, schlief ich ein.
    Mitten in der Nacht wurde ich von einem höchst beängstigenden Geräusch geweckt. Phaidra wachte ebenfalls auf und warf aus reiner Angst die Arme um mich, und als ich begriffen hatte, daß sie es war und nicht der schwerbewaffnete syrakusische Reiter, von dem ich einen Alptraum gehabt hatte, fühlte ich mich ausgesprochen mutig und sagte ihr, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, da ich sie beschützen werde.
    »Fabelhaft«, entgegnete sie. »Und wovor?«
    »Vor dem Verursacher dieses Geräuschs.«
    »Blödmann«, erwiderte sie, wobei sie sich von mir losmachte. »Schlaf weiter.«
    Es gab ein zweites schreckliches Krachen, direkt draußen vor der Haustür, gefolgt von verwirrten Schreien in nicht unerheblichen Ausmaß. Mein erster Trieb riet mir, mich unter dem Bett zu verstecken, aber genau dieses Verhalten wurde von einem Mann erwartet, der nicht nach Sizilien zog. Außerdem wollte ich vor Phaidra nicht als Feigling dastehen, da sonst das gemeinsame Leben mit ihr in den nächsten ein, zwei Wochen unerträglich geworden wäre. Ich legte also einen Umhang um, holte mein Schwert und steckte den Kopf zur Haustür hinaus.
    Als erstes sah ich meine kleine Hermesstatue mit abgeschlagenem Kopf und Phallos auf der Seite liegen. Ich bin kein mutiger Mensch, aber für diese Statue hatte ich eine Menge Geld bezahlt, nachdem bereits ihr Vorgänger zerstört worden war, und ich wollte mit der verantwortlichen Person ein Wörtchen reden. Ich blickte die Straße hinauf und hinunter, aber niemand war zu sehen; nur Mondlicht, ein paar streunende Hunde und eine kleine Lache mit frisch Erbrochenem. Also eine Nacht wie jede andere in der mit einer violettfarbenen Krone geschmückten Stadt der Musen.
    Ein vernünftiger Mensch hätte ungeniert geflucht und wäre wieder zu Bett gegangen. Ich aber schlang mir den Umhang um den Arm, ergriff fest mein Schwert und machte mich an die Verfolgung. Denn ich hörte direkt hinter der Ecke splitternde Geräusche; also war der Attentäter noch nicht weit gekommen. Auf den Sohlenrändern gehend, schlich ich mich leise um die Ecke und erblickte eine Bande stark betrunken aussehender junger Männer, die gerade die Statue vor dem Haus eines gewissen Kornhändlers namens Philopsephos verstümmelten.
    Es waren ziemlich viele, und einige von ihnen waren recht groß, und Betrunkene können furchtbar brutal sein. Ich kam zu dem Schluß, daß Kallikrates recht hatte: Bei einem Menschen, der sich alles Erdenkliche einfallen läßt, um am Krieg teilnehmen zu dürfen, kann etwas mit dem Gehirn nicht ganz in Ordnung sein. Deshalb wollte ich mich unauffällig zurückziehen, aber unglücklicherweise hatte ich etwas zu lange damit gewartet. Einer der angeheiterten Steinmetze hatte mich entdeckt und brüllte nun seinen Freunden etwas zu.
    Wie schaffen es Betrunkene, so

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