Die Ahnen von Avalon
wachsen. Azan ist der einzige Ort hier in der Gegend, der überhaupt den Namen Dorf verdient.«
»Hör auf zu brabbeln, Mädchen, ich hab schon verstanden.« Timuls dunkle Augen wanderten immer noch wachsam über das Bild, das sich ihnen bot.
Auf Micails Aufruf hin waren die Sänger herbeigeeilt, um dabei zu helfen, das Sonnenrad zu vollenden und zu weihen. Dieser Vorgang würde allem Anschein nach auch für die eingeborenen Stämme ein ziemlich wichtiges Ereignis werden. Elara war gespannt, ob die Königin anwesend sein würde. Seit jenem Zeitpunkt, da sie abgereist war, hatte Micail das Thema Heirat dadurch abgewendet, dass er anführte, er müsse ehelos bleiben, um die Arbeit am Bau des Steinkreises mit ganzer Kraft durchführen zu können. Nun fragte sie sich, ob es wohl jemals jemandem gelänge, mit Micail das Lager zu teilen.
Micail musterte die versammelten Priester und Priesterinnen, die wartend unter den Weiden am Fluss saßen. Woran mag es nur liegen, dass wir einander so fremd geworden sind?, fragte er sich seufzend. Oder bin nur ich es, der sich verändert hat?
Einst hatte es zu seinen alltäglichen Aufgaben gehört, den Vorsitz bei solchen Versammlungen zu führen. Er ertappte sich dabei, wie er im Geist die traditionellen Begrüßungs-und Einführungsworte übte, die kleinen Höflichkeiten und unaufdringlichen Formalitäten, die seine besten Werkzeuge bei der Verwaltung der Stadt Ahtarrath und des Tempels gewesen waren; dann erschrak er, da die Erinnerungen wie Muskeln waren, nach langer Untätigkeit steif geworden. Heutzutage war er mehr vertraut mit den groben Umgangsformen der Ai-Zir oder der lässigen Kumpelhaftigkeit von Jiri und Ancha.
Er holte tief Luft und begann: »Ich danke Euch allen, dass Ihr meinem Ruf gefolgt seid. Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, wie viele von Euch in der Lage sein würden, diese Reise zu unternehmen. Doch es ist wichtig, dass wir unsere Macht erfolgreich unter Beweis stellen, um diese Steine zu bewegen.« Er wandte sich an Ardral. »Edler Herr, möchtet Ihr noch irgendetwas hinzufügen?«
Der alte Meister der Mysterien zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht, lieber Junge. Nun, da es um körperliche Arbeit geht, überlasse ich die Sache gerne Euch.«
Micail unterdrückte wieder einen Seufzer. Ein weiterer Umstand, den er beim Aussenden seiner Botschaft nicht bedacht hatte, war, dass Hüter im Allgemeinen ihren Rang erst in mittleren Jahren erreichten. Die meisten der Männer und Frauen, die jetzt um ihn herum saßen, waren alt . Zum Glück hatten die Mäßigungen, die ihnen der Tempel auferlegte, sie vergleichsweise gesund erhalten, und nach einer geruhsamen Nacht mit ausreichend Schlaf hätten sie ihre Erschöpfung größtenteils überwunden. Ardral war natürlich allem Anschein nach alterslos, doch der alte Metanor sah schon ziemlich gebrechlich aus - sie würden auf ihn Acht geben müssen, damit er sein Herz nicht überanstrengte, wenn die Arbeit schwerer würde. Stathalkha schien bereits auf halbem Weg zur Anderen Welt zu sein, aber schließlich war sie ja eine Seherin, deren Sinne weiter reichten als die gewöhnlicher Menschen.
Haladris von Alkonath und Mahadalku von Tarisseda andererseits stellten eine seltsam feste Front dar, die Micail an die Sandsteinbrocken erinnerte, obwohl er nicht so recht wusste, warum ihm dieser Vergleich in den Sinn kam, da sie sich bis jetzt weder als besonders stur, sperrig noch unbeugsam gezeigt hatten.
Es gibt so vieles, das ich nicht weiß, wiederholte er im Geiste und lächelte dabei wehmütig. Doch selbst große Hüter hüteten nicht immer ihre Zungen im Umgang mit der jüngeren Priesterschaft. Er machte sich in Gedanken eine Notiz, Elara zu fragen, was ihr zu Ohren gekommen war - oder Vialmar, der sich seit ihrer Ankunft im neuen Land in Belsairath aufgehalten hatte.
»Natürlich mussten wir kommen«, ergriff Mahadalku jetzt das Wort, und zwar in so majestätischer Haltung, als ob sie vom Portikus des Tempels des Lichtes auf Tarisseda aus zu ihnen spräche und nicht unter einem Sonnendach aus Stroh in Azan stünde. »Die Handelsstadt bietet lediglich… die Voraussetzungen zum Überleben. Hier ist der Ort, wo wir unsere Zukunft bauen. Wir möchten nirgends anders sein.«
Die meisten Anwesenden taten murmelnd ihre höfliche Zustimmung kund.
»Ja, sehr wohl…« Micail versuchte krampfhaft, sich an die im Hochtempel gebräuchliche Formulierung zu erinnern, um das ausdrücken, was er
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