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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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die Skythen regelmäßig das, was ihnen selbst am wertvollsten war: Pferde und besiegte Feinde. Dabei töteten sie die Menschen auf andere Art als die Tiere. Noch lebend führte man den Gefangenen vor ein leeres Gefäß und goss Wein über seinen Kopf. Dann trennte der skythische Priester diesen mit einem Schwerthieb vom Rumpf und ließ das Blut über das Schwert fließen. Anschließend schnitt er den rechten Arm des Gefangenen samt der Schulter ab und warf ihn in die Luft. Der Arm blieb liegen, wohin er fiel, getrennt von ihm die Leiche.
    Die Prinzen Plynos und Skolopitos waren mit diesem Kult vertraut und hatten sich als Reiterkrieger bereits Trophäen verdient, als sie nach skythischem Brauch gemeinsam mit Gleichaltrigen für eine bestimmte Zeit vom Stamm getrennt wurden und frei von allen Pflichten ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten durften. Diese Zeit zwischen Jugend und Erwachsensein nutzten die jungen Männer gewöhnlich, um sich intensiv ihrer kriegerischen und reiterlichen Ausbildung zu widmen. Plynos und Skolopitos allerdings kamen auf eine ganz andere Idee. Sie planten einen Aufstand! Ob sie aus jugendlicher Selbstüberschätzung |23| handelten, in Verkennung ihrer königlichen Abstammung rebellierten oder auf einen schwelenden Konflikt innerhalb der skythischen Gesellschaft reagierten, ist ungewiss. Zusammen mit ihren Anhängern versuchten sie die Revolte und scheiterten. Die hohe Geburt rettete den Aufständischen wahrscheinlich das Leben, denn sie wurden nur des Landes verwiesen und durften ihre Frauen, ihr Gefolge und ihre Pferde mitnehmen.
    Auf dem Landweg machte sich das versprengte skythische Häufchen auf, eine neue Heimat zu suchen. Vom Tanais aus ritten sie zunächst ostwärts, überquerten den Kaukasus und folgten der Südküste des Schwarzen Meeres bis zur Ebene von Themiskyra, die landeinwärts begrenzt wurde vom Pontischen Gebirge, das einen natürlichen Schutz bot gegen Angriffe aus dem Hinterland. In der Ebene gab es genug Weideland für die Pferde, und die Menschen fanden in den umliegenden Wäldern reichlich Wild zum Jagen – damit war die Themiskyra eine ideale zweite Heimat, dachten sich Plynos und Skolopitos und besetzten das Terrain nach Skythenart. Sie verjagten die einheimische Bevölkerung und führten skrupellose Plünderungs- und Eroberungskriege gegen die Nachbarvölker, die völlig hilflos den Attacken der schnellen Reiterkrieger ausgeliefert waren. Die Skythen hatten leichtes Spiel, wurden immer selbstsicherer – und immer unvorsichtiger. Sie kamen gar nicht auf die Idee, dass ihre schwachen Gegner in die Offensive gehen könnten. Aber genau das geschah. Die einzeln hoffnungslos Unterlegenen schlossen sich gegen die Aggressoren zusammen. Eine kleine Gruppe unternahm einen Scheinangriff gegen die Skythen und ließ sich wie gewohnt in die Flucht schlagen. Die Krieger unter der Führung von Plynos und Skoloptitos waren siegesgewiss und überheblich genug, den kleinen Trupp Flüchtiger einen engen Bachlauf entlang zu verfolgen. Und hier schnappte die Falle zu. Die Skythen waren umzingelt, der Fluchtweg abgeschnitten. Die Prinzen und ihr Gefolge wehrten sich nach Kräften, aber es war nicht ihr Krieg, den sie da führten. Gewohnt, auf großem Raum Distanz zum Feind zu halten, hatten |24| sie im Mann-gegen-Mann-Gefecht in diesem Engpass keine Chance. Sie wurden überwältigt und erschlagen.
    Zurück blieben ihre Frauen, die sich in einer aussichtslosen Lage befanden. Als Vertriebene in einem fremden Land konnten sie nicht auf die Hilfe ihres Stammes zählen. Es gab weder Freunde noch Verwandte in erreichbarer Nähe, bei denen sie Zuflucht hätten suchen können. Im Gegenteil, als Ehefrauen feindlicher Eroberer hatten sie sämtliche benachbarte Völker gegen sich. Ganz gleich, welchem Stamm die skythischen Frauen in die Hände fallen sollten, sie wussten, dass sie weder auf Gnade, noch auf Recht, noch auf einen zumindest gnädigen Tod hoffen konnten. Ihre Männer hatten die Nachbarn jahrelang bedroht, überfallen und ausgeplündert. Es stand also zu befürchten, dass man sich für die Vergehen der Männer an ihnen rächen würde.

|25| Der Amazonenstaat
    Eine Wahl zwischen Leben und Tod
    Die skythischen Frauen taten nun etwas, was die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Sie verweigerten die Opferrolle, verwarfen den Gedanken, heimlich bei Nacht und Nebel in die alte Heimat zurückzukehren und machten aus der Not eine Tugend. Es erhob sich keine zweifelnde oder

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