Die Atom-Lüge
Tschernobyl – trotzdem wieder mit den Atomkonzernen gekungelt?
Dieses Buch erzählt die Geschichte einer Technologie, an die unsere Industriegesellschaften jahrzehntelang wie an eine Religion glaubten. Und es beschreibt, wie aus dem Glauben Lügen wurden. Spätestens seit der Kernschmelze von Harrisburg 1979 hätte den Verfechtern dieser Energiegewinnungsform klar sein müssen, dass der Mensch diese Technologie
nicht beherrschen wird, geschweige denn verstehen: Wochenlang haben wir ähnliche Bilder von den explodierten Meilern in Fukushima gesehen. Trotz der Selbstmordkommandos von Arbeitern und Feuerwehrleuten, die den Reaktor besprühten, meldeten Medien immer wieder schwarzen Rauch: »Der Rauch über Block 3 stammt der japanischen Atomsicherheitsbehörde zufolge aus dem Reaktorgebäude. Die Ursache sei unklar.« 1 Fassungslos lasen wir, dass Japan die Katastrophe anfänglich mit der Stufe 4 auf der 8-stufigen internationalen Skala von 0 bis 7 für Atomereignisse meldete. Stufe 4 beschreibt das Handbuch der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit wie folgt: »Unfall – geringe Freisetzung: Strahlenbelastung der Bevölkerung etwa in der Höhe der natürlichen Strahlenbelastung.« 2 Erst nachdem Atomexperten in den USA und die französische Atombehörde den Reaktorunfall in Stufe 6 von 7 möglicher Atomunfälle einordneten (»Schwerer Unfall – erhebliche Freisetzung: Voller Einsatz der Katastrophenschutzmaßnahmen«), stufte Japan am siebten Tag der Katastrophe den Unfall von Stufe 4 auf lediglich 5 hoch: »Ernster Unfall – begrenzte Freisetzung: Einsatz einzelner Katastrophenschutzmaßnahmen«. Wir hörten, dass das Trinkwasser in der Millionenmetropole Tokio für Babys zu radioaktiv sei, für Kleinkinder und Erwachsene hingegen nicht – aber was können wir überhaupt glauben? Erst exakt einen Monat nach der ersten Meldung über den nuklearen Notstand waren die japanischen Behörden bereit, die Vorgänge mit Stufe 7 als das zu melden, was sie sind: ein »katastrophaler Unfall«. Die Informationspolitik des demokratischen Staates Japan ist ähnlich desaströs wie einst die der Sowjetunion nach Tschernobyl. Und sie setzt das Leben Zehntausender Menschen aufs Spiel. Die Nuklearindustrie verhält sich weltweit wie ein Staat im
Staat – wie ich in diesem Buch schildern werde – auch in Deutschland.
Die Verharmlosung hat selbst in der Katastrophe noch Methode. Die Atombefürworter aus den Konzernetagen sowie aus der Union und FDP verstummten nach anfänglichen Beschwichtigungsversuchen schnell – nicht zuletzt, weil sie ahnten, dass die schwarz-gelbe Atompolitik bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 2011 abgestraft werden würde. Bei der Laufzeitverlängerung der Regierung Merkel ging es für die Energiekonzerne um viel Geld – bis zu 200 Milliarden zusätzlicher Gewinne konnten sie sich versprechen. Um dieses Ziel zu erreichen, waren die Propagandaabteilungen der Atomlobby 2010 noch einmal zu Hochform aufgelaufen. Sie warnten wie eh und je vor Versorgungsengpässen für den Fall des Atomausstiegs, vor dem Niedergang des Industriestandorts Deutschlands und vor steigenden Strompreisen und der Klimaerwärmung.
Als Reaktion auf die Atomkatastrophe von Japan verkündete die Bundeskanzlerin aber ein dreimonatiges Moratorium der geplanten Laufzeitverlängerung – ein schönes Wort, das sich vom lateinischen Verb »morari« ableitet und nichts anderes als verzögern bedeutet. Dass Angela Merkel mit der Durchsetzung der ohnehin verfassungsrechtlich umstrittenen Laufzeitverlängerung nun drei Monate warten wollte, hielten nach Umfragen auch viele Bürger für ein reines Wahlkampfmanöver. Und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle von der FDP gab das am Tag der ersten Explosion in Fukushima im erlauchten Kreis von vierzig Topmanagern von Deutschlands wichtigsten Konzernen in der Zentrale des Bundesverbands der Deutschen Industrie sogar offen zu – allerdings war das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. 3 Als über den Ticker die Meldung über das geplante dreimonatige
Moratorium kam, machte sich große Unruhe insbesondere unter den Energiemanagern breit. Laut einem internen Protokoll, das die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte, verlangten die Manager eine Erklärung zu dem überraschenden Moratorium: »Der Minister bestätigte dies und wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer
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