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Die Augen der Medusa

Die Augen der Medusa

Titel: Die Augen der Medusa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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und Milena Angiolini und alle anderen, die sich im Dorf aufhielten, aus ihren Häusern und eilten zur Kirche.
    Ivan ließ die Seile los und brüllte herab, dass draußen auf der Landstraße ein Wagen in Flammen stehe. Während die Glockenschläge leiser wurden und ihren Rhythmus stetig verlangsamten, begann auf der Piazzetta ein wildes Durcheinander. Die Einwohner Monteseccos zogen ihre Handys hervor, rissen Autotüren auf, starteten die Motoren, riefen einander zu, dass man die Erste-Hilfe-Kästen nicht vergessen solle. Und schon gar nicht die Handfeuerlöscher.
    Keine drei Minuten später war fast das ganze Dorf auf dem Weg zum Unglücksort. Zuletzt trafen Ivan und Marta Garzone ein, die noch ein paar Damigiane mit Wasser eingeladen hatten. Sie parkten hinter dem Renault der Sgreccias,schleppten die schweren Kanister nach vorn und gesellten sich zu den anderen. Die standen etwa fünfzehn Meter vom brennenden Wagen entfernt und blickten auf meterhoch lodernde Flammen, hinter denen kaum etwas von der Karosserie zu erkennen war. Das Feuer war beängstigend laut, der Ton, den es ausstieß, eine Mischung aus dem Heulen von Sturmböen und dem tausendfachen Gesumme eines riesigen Bienenschwarms. Es stank beißend nach verschmortem Kunststoff.
    »Nun tu doch endlich was!«, schrie Catia Vannoni ihren Vater an. Matteo Vannoni zog den Sicherungsstift aus seinem Handfeuerlöscher. Er ging an undefinierbaren rauchenden Trümmern vorbei auf den Brand zu. Bevor er nahe genug war, schlug eine Explosion mit dumpfem Knall aus dem aufgerissenen Motorraum. Die Flammen zuckten noch zwei Meter höher auf und verdichteten sich zu einem unregelmäßigen Feuerball, der gleich wieder verpuffte. Vannoni zog den Kopf ein und wich langsam zurück.
    »Sprüh los!«, rief Catia. Vannoni richtete den Feuerlöscher aus. Der Schaumstrahl schoss heraus, erreichte den brennenden Wagen aber nicht. Ein dünner Streifen weißen Teppichs legte sich auf den Asphalt. Im Vergleich zu dem brausenden Inferno dahinter sah er lächerlich, ja grotesk aus. Vannoni kehrte zu den anderen zurück.
    »Gib her!«, sagte Catia. Sie streckte die Hand nach dem Feuerlöscher aus.
    »Es ist zu gefährlich«, sagte Vannoni.
    »Gib schon her!« Catias Lippen zitterten. Vielleicht aus Erregung, vielleicht aus Verachtung gegenüber ihrem Vater und den anderen Feiglingen, die tatenlos um sie herumstanden. Catia war vierunddreißig Jahre alt. Man kannte sie lange genug, um zu wissen, dass sie in Extremsituationen impulsiv reagierte. Doch das war wirklich nicht der Moment, die Heldin zu spielen.
    »Nicht, solange der ganze Wagen in die Luft gehen könnte«, sagte Marta Garzone.
    Catia strich sich mit dem Handrücken über die Stirn und sagte: »Da sind Menschen drin!«
    Keiner antwortete. Natürlich war der Wagen nicht von selbst hierher gefahren. Und dass jemand es geschafft hatte, rechtzeitig herauszukommen, schien äußerst unwahrscheinlich, wenn man an die drei gewaltigen Detonationen dachte, die so kurz nacheinander erfolgt waren. Im Übrigen war außer den Dorfbewohnern weit und breit niemand zu sehen.
    Catia Vannoni bückte sich nach dem Feuerlöscher, den ihr Vater auf der nassen Straße abgestellt hatte.
    »Nein, Catia!« Vannoni fiel ihr in den Arm.
    Mit einer schnellen Bewegung riss sie sich los und zischte: »Du hast mir gar nichts zu befehlen!«
    »Wir können jetzt nichts tun«, sagte Marta Garzone. Sie fasste Catia an der Schulter, und diesmal ließ Vannonis Tochter es zu.
    »Es würde sowieso nichts nützen«, sagte Marta. Wer da im Auto gesessen hatte, der hatte nicht überlebt. Das konnte man nicht rückgängig machen, auch wenn man sich selbst in Gefahr brachte. Wieder barsten die Flammen mit einem dumpfen Knall aus dem brennenden Wrack hervor, diesmal fast waagerecht von der Stelle aus, an der sich einmal der Kühlergrill befunden haben musste. Catia schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen.
    »Es ist wie im Krieg!«, murmelte der alte Franco Marcantoni. Lidia und Costanza, seine beiden Schwestern, nickten dazu. Als Jugendliche hatten sie miterlebt, wie sich Deutsche und Amerikaner gegenseitig mit Artillerie beschossen hatten. Die einen hatten sich in Montesecco verschanzt, die anderen drüben auf den Hügeln bei San Pietro. Das war vor genau vierundsechzig Jahren gewesen. Die jüngeren Dorfbewohner kannten die Erzählungen, doch sie hätten gern darauf verzichtet, die alten Geschichten auf diese Weise lebendig werden zu sehen.
    Der Löschwagen aus Pergola

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