Die Augen der Medusa
traf bereits zehn Minuten später ein, gefolgt von zwei Einsatzwagen der Vigili. Die Polizisten scheuchten die Dorfbewohner zurück, doch konnte man noch beobachten, wie die Feuerwehr die Flammen erstickte. Wie viele Opfer zu beklagen waren, blieb weiter unklar. Obwohl alle Scheiben des Wagens zerborsten waren, vermochte man auf die Entfernung nur unförmige, dunkle, von Asche und Löschschaum bedeckte Gebilde zu erkennen, die sowohl zerfetzte Autositze als auch verstümmelte menschliche Körper sein konnten.
Sobald es möglich war, näherten sich die Vigili dem ausgebrannten Wrack, schauten hinein, machten aber keine Anstalten, die Leichen herauszuziehen. Das wäre doch die natürlichste Reaktion gewesen! Stattdessen wurden die Fensterhöhlungen abgedeckt und man telefonierte hektisch in der Gegend herum. Dann kamen zwei der Vigili auf die Gruppe der Dorfbewohner zu und befahlen, die Autos wegzuschaffen. Die Straße müsse komplett geräumt werden, denn bald sei hier der Teufel los.
Wie viele denn im Wagen gewesen seien, fragte Franco. Und ob man schon wisse, um wen es sich handle.
»Macht die Straße frei, und zwar sofort!«, befahl der Polizist. Die jeweiligen Fahrer stiegen ein und rollten im Rückwärtsgang bis zur Abzweigung nach Madonna del Piano, wo sie wenden konnten. Nachdem sie ihre Autos auf der Piazza in Montesecco abgestellt hatten, kehrten sie zu Fuß zurück. Schon auf dem Weg wurden sie von ein paar Streifenwagen passiert, die aus Richtung San Lorenzo kamen. Die Absperrung war inzwischen nach hinten verlegt und die Dorfbewohner so weit zurückgejagt worden, dass sie nicht mehr genau erkennen konnten, was sich am Unglücksort abspielte.
Das Heulen der Martinshörner hörte nun gar nicht mehr auf. Carabinieri rückten an, Vigili urbani, Polizia di Stato, sogar ein Fahrzeug der Guardia di Finanza. Alles, was in der Provinz Pesaro-Urbino eine Uniform trug, schien sicheinzufinden und lief um die ausgebrannte Limousine herum. Wahrscheinlich nahm dort die Spurensicherung gerade ihre Arbeit auf. Dann ertönten Kommandos, die auf die Entfernung nicht zu verstehen waren. Ein Trupp Uniformierter schwärmte aus und suchte in größer werdenden Kreisen die Umgebung ab. Insgesamt waren schon an die fünfzig Beamte im Einsatz, und es wurden immer mehr.
Die Dorfbewohner standen stumm hinter der Absperrung am Straßenrand. Sie sahen erst einen, dann einen zweiten Hubschrauber von Süden anfliegen. Knapp oberhalb der Baumwipfel drehten die beiden laut knatternden Maschinen ein, schüttelten mit ihrem Rotorenwind den Schnee aus den Zweigen und landeten im Feld neben der schmalen Straße. Unter den drehenden Rotorblättern liefen Männer mit gebückten Oberkörpern auf den ausgebrannten Wagen zu.
Normal war dieser ganze Aufwand nicht. Als Carlo Lucarelli vor vielen Jahren mit dem Motorrad tödlich verunglückt war, hatten sich gerade mal zwei Streifenwagen und die Sanitäter herbequemt. Man begann zu begreifen, dass sich dort vorn mehr als ein tragischer Unfall ereignet hatte. Und dass Personen davon betroffen waren, die hundertmal wichtiger waren als Carlo Lucarelli und sie alle zusammen. Aber wer mochte das sein?
Die Dorfbewohner vergruben die kalten Finger in den Hosentaschen und versuchten vergeblich, von den Vigili hinter dem rotweißen Band irgendwelche Informationen zu erhalten. Auch die Kriminalpolizisten, die bald darauf ihre Personalien aufnahmen, gaben keine Auskünfte, sondern wollten nur selbst welche. Doch was konnten die Leute aus Montesecco schon aussagen? Drei Explosionen hatten sie gehört, kurz hintereinander, und als sie hier angelangt waren, hatten sie ein brennendes Auto im Straßengraben vorgefunden.
»Sind jemandem fremde Personen aufgefallen? Oder sonst etwas Verdächtiges?«
»Etwas Verdächtiges? Nein.«
»Denken Sie nach!«
»Was wäre denn zum Beispiel verdächtig?«
»Ist Ihnen etwas aufgefallen oder nicht?«, fragte der Polizist. Ein paar schüttelten stumm den Kopf.
Mit der Zeit trafen Schaulustige aus anderen Ortschaften ein, die, weiß der Himmel wie, von den Geschehnissen erfahren hatten. Sie drängten sich an die Absperrung vor und stellten genau die Fragen, auf die auch die Dorfbewohner gern eine Antwort gehört hätten. Doch hier bekam man gar nichts mit, und außerdem war es bitterkalt. Irgendwann hatte man genug und machte sich auf den Weg zurück nach Montesecco.
»Da muss man sich vor den Fernseher setzen, um zu erfahren, was im eigenen Dorf passiert ist«, knurrte
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