Die Augen der Mrs. Blynn
Gerts Lächeln erinnerte, »weil mich nach Ihnen keine andere Frau mehr rei-39
zen könnte.«
Ein paar Minuten später, sie waren inzwischen beim Brandy angelangt, sagte André: »Vermutlich werden Sie sich irgendwann von Ihrem Mann scheiden lassen.«
»Vermutlich.« Hélène ließ es dabei bewenden.
»Würden Sie eventuell mit mir nach Paris kommen? Ich habe eine sehr große Wohnung. Gleich hinter dem Invali-dendom. Mit einem zauberhaften Blick auf…«
Hélène schüttelte lächelnd den Kopf. »Danke, das ist sehr nett, aber nein. Auch das könnte ich mir im Moment nicht vorstellen.« Bei sich dachte sie: lauter Verrückte, diese Leute im Hotel Waldhaus. Das muß an der Höhenluft liegen.
»Vielleicht erscheint Ihnen das lächerlich… in meinem Alter«, sagte André. »Ich meine, daß ich Ihnen quasi aus heiterem Himmel einen Antrag mache. Andererseits bin ich alt genug, um zu erkennen, was für mich richtig ist, wenn ich's vor mir sehe.«
Am nächsten Morgen begleitete Gert sie auf ihrem Mor-genspaziergang, nachdem er ihr wie tags zuvor in einem Sessel unten in der Halle aufgelauert hatte. Doch heute lächelte er nicht und war überhaupt ziemlich verstimmt.
Als sie das Hotel ein Stück weit hinter sich gelassen hatten, sagte er: »Ich weiß, daß du gestern abend mit dem Franzosen unten im Dorf gegessen hast. Ein sehr ausgelassenes Diner, nach dem, was mir der Page erzählt hat.«
Diese klatschsüchtigen Pagen! dachte Hélène verärgert.
»Na und? Was ist schlimm daran, wenn man zur Abwechslung mal im Dorf zu Abend ißt?«
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»Am Abend des Tages, an dem ich dir die Brosche meiner Großmutter geschenkt habe. Und mit einem Mann, von dem jeder weiß, daß er in dich verliebt ist.« Gerts Stimme bebte vor Entrüstung.
»Er bedeutet mir nichts«, sagte Hélène rasch und wie zur Entschuldigung.
»Und ich bedeute dir vielleicht auch nichts! Sag's ruhig, wenn's so ist!«
Wer kennt schon die Wahrheit? In einem Punkt freilich war sie sich sicher: Sie wollte Gert nicht verletzen. Aber sie spürte auch, daß er diese Eifersuchtsszene aus reinem Selbstschutz und also im eigenen Interesse inszenierte.
»Nein, so ist es nicht. Aber ich habe dir auch kein Versprechen gegeben, Gert. Und deine Brosche kannst du zurück-haben… Ich treibe keine Spielchen mit dir.«
»Wenn du mich nicht willst… wenn dir dieser Franzose lieber ist, dann bringe ich mich lieber um, jawohl, das tue ich!«
Sie glaubte ihm kein Wort, wollte ihn das jedoch nicht merken lassen. Sie stieg weiter den verschneiten Weg hinauf, und Gert ging neben ihr, die Augen unverwandt auf ihr Gesicht geheftet. Diese Leute saugen mich aus, dachte Hélène, und da sie das Gefühl hatte, viel sei aus ihr nicht mehr herauszuholen, wunderte es sie nicht, daß sie sich so erschöpft und hilflos vorkam. Und sie suchte vergeblich nach einer probaten Methode, um mit Gert ins reine zu kommen. Wahrscheinlich fiel ihr nichts ein, weil sie sich von derlei Dingen losgesagt hatte, bevor sie nach Alpenbach gekommen war, ja sogar schon Tage vor ihrer Abreise 41
aus München. Plötzlich erinnerte sie sich voll schmerzlicher Wehmut an den Abschied am Bahnhof, daran, wie sehr es sie überrascht hatte, daß sogar Frau Müller, ihre Zugehfrau, mit dem Fahrrad zum Bahnhof gekommen war, um ihr Lebewohl zu sagen. Es war, als hätten alle gespürt, daß sie Hélène zum letztenmal sahen, und trotzdem waren alle besonders vergnügt und herzlich gewesen.
»Siehst du die Felsen da?« fragte Gert und zeigte auf die zerklüfteten Zacken am Gipfel des Berges, den sie nie bestiegen hatten. »Da werde ich mich runterstürzen, es sei denn –«
»Es sei denn?« wiederholte Hélène so beiläufig, wie sie auf etwas, was sie nicht ganz mitbekommen hatte und was sie auch nicht sonderlich interessierte, mit einem höflichen
»Wie bitte?« reagiert hätte. Sie hatte selber schon an diesen Gipfel gedacht, dem gegenüber sie einen ganz sonderbaren, um nicht zu sagen aberwitzigen Besitzanspruch entwickelt hatte. Gert würde das mit dem Felssturz nie wahr machen, und daß er eben damit gedroht hatte, war bloß ein ironischer Zufall gewesen.
»Es sei denn, ich darf auch weiter mit dir zusammen sein. Es sei denn, wir können uns auf einen… einen Pakt einigen.«
Sie wußte, was er meinte: Er wollte ihr einziger Liebhaber sein, freilich in einem sehr romantischen und wahrscheinlich platonischen Sinne. Er wollte hin und wieder zum Kaffee oder zum Essen in ihre Münchner Wohnung kommen
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