Die Augen der Ueberwelt
Fehler?«
Verärgert schlug der Älteste auf den Tisch. »Die Doktrin ist unwiderlegbar, denn jene, die von den Geflügelten geholt werden, überleben nie, selbst wenn sie bei bester Gesundheit zu sein scheinen. Zugegeben, der Sturz in die Tiefe führt zum Tod, doch das ist eine Gnade Yeliseas, der ein schnelles Ende gewährt, wodurch ein langes Siechtum verhindert wird. Das beweist wahrhafte Güte. Die Geflügelten holen nur die dem Tod Geweihten, die danach durch den Felsen in das gesegnete Land Byssom gebracht werden. Hin und wieder vertritt einer eine ketzerische Ansicht, in welchem Fall er ... Aber ich bin sicher, Ihr hängt dem strengen Glauben an?«
»Von ganzem Herzen«, bestätigte Cugel schnell. »Die Grundsätze Eures Glaubens entspringen der Wahrheit.« Er nahm einen tiefen Schluck seines Weines. Als er den Becher absetzte, wisperte weiche Musik in der Luft: unendlich süße, unendlich schwermütige Töne. Alle unter der Pergola verstummten – trotzdem war Cugel nicht sicher, ob er wirklich Musik gehört hatte.
Der Älteste duckte sich ein wenig und trank ebenfalls. Erst dann blickte er hoch. »Die Geflügelten ziehen über uns hinweg.«
Cugel zupfte nachdenklich am Kinn. »Wie kann man sich gegen sie schützen?«
Diese Frage hätte er nicht stellen sollen. Der Älteste funkelte ihn an, dazu rollten seine Ohren sich nach vorn. »Wenn der Tod einer Person bevorsteht, kommen die Geflügelten. Wenn nicht, hat sie nichts zu befürchten.«
Cugel nickte mehrmals. »Ihr habt Erleuchtung über mich gebracht. Da Ihr und ich uns der besten Gesundheit erfreuen, schlage ich vor, daß wir morgen einen Spaziergang zu den Felsen machen und uns dort ein wenig umsehen.«
»Nein«, lehnte der Älteste ab. »Und zwar aus folgendem Grund: Die Luft in einer solche Höhe ist ungesund. Jemand, der diese schädlichen Dämpfe einatmet, mag so sehr wohl seinen Tod herbeiführen.«
»Ich verstehe vollkommen.« Cugel nickte. »Wollen wir nicht von etwas Erfreulicherem sprechen? Wir leben, und der Wein, der die Pergola umrankt, verbirgt uns in gewissem Maß vor einem Blick nach oben. Essen und trinken wir und sehen wir den jungen Leuten zu, die mit großer Geschicklichkeit tanzen.«
Der Älteste leerte seinen Becher und erhob sich. »Tut, was Euch beliebt, doch für mich ist es Zeit für das Ritual der Erniedrigung, das ein Teil unseres Glaubens ist.«
»Ich befolge hin und wieder ein ähnliches Ritual«, erklärte ihm Cugel. »Ich wünsche Euch den Genuß des Euren.«
Der Älteste verließ die Pergola, und Cugel blieb allein am Tisch sitzen, bis die Neugier einige der jungen Leute zu ihm trieb. Wieder erklärte Cugel den Grund seiner Anwesenheit, allerdings mit etwas geringerer Betonung des barbarischen Standes seines Heimatlandes, denn zu der Gruppe gehörten natürlich auch einige Mädchen, deren exotische Farbe und munteres Wesen er reizvoll fand. Viel Wein wurde getrunken und Cugel überredet, den hopsenden, beinschwingenden Tanz zu versuchen, was ihm meisterhaft gelang.
Das brachte ihn mit einem besonders bezaubernden Mädchen zusammen, das sich Zhiaml Vraz nannte. Als der Tanz zu Ende war, legte sie ihren Arm um Cugels Mitte, ging mit ihm zu seinem Tisch zurück und setzte sich auf seinen Schoß. Da dies die anderen offenbar nicht zu stören schien, wagte Cugel sich sogar noch weiter. »Ich habe mich noch nicht nach einem Nachtquartier umgesehen, vielleicht sollte ich mir ein Schlafgemach suchen, ehe die Nacht voranschreitet.«
Das Mädchen winkte den Wirt herbei. »Habt Ihr vielleicht eine Kammer für diesen meißelgesichtigen Fremden frei?«
»Das habe ich. Ich werde sie ihm zeigen.«
Er brachte Cugel in ein freundliches Gemach im Erdgeschoß. Es war mit einem Bett, einer Kommode, einem Teppich und einer Lampe ausgestattet. Ein Wandbehang in purpurnem und schwarzem Webmuster zierte eine Seite, und an der gegenüberliegenden Wand befand sich das Bild eines ungewöhnlich häßlichen Säuglings, der in einer durchsichtigen Kugel gefangen war. Das Gemach gefiel Cugel, was er dem Wirt auch versicherte. Dann kehrte er unter die Pergola zurück, wo die jungen Leute allmählich aufbrachen. Das Mädchen Zhiaml Vraz jedoch blieb, und ihre Herzlichkeit ließ Cugel seine letzte Vorsicht vergessen. Nach einem weiteren Becher Wein flüsterte er ihr ins Ohr: »Vielleicht ist es etwas verfrüht und gegen die üblichen Sitten hier – aber gibt es einen Grund, weshalb wir uns nicht in meine Kammer zurückziehen und uns dort
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