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Die Biene Maja

Die Biene Maja

Titel: Die Biene Maja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Waldemar Bonsels
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großer Regentropfen auf ihre Schulter fiel. Sie erschrak sehr und trocknete sich ab. Unten hob sich das welke Blatt, und langsam kroch ein braunes Tier hervor, das ihr im hohen Maße absonderlich vorkam. Es hatte einen plumpen Leib und einen ganz ungewöhnlich dicken Kopf mit kleinen aufrechten Fühlhörnern. Die Beinchen waren sehr dünn und bewegten sich langsam, und der Ausdruck des Gesichts war sorgenvoll.
    »Guten Morgen, meine Iffi«, sagte der Käfer und wurde vor Höflichkeit ganz schlank. »Wie haben Sie geschlafen?« und dann fügte er hinzu: »mein alles!«
    Iffi nahm seine Hand etwas gleichgültig.
    »Es geht nicht, Kurt,« sagte sie, »ich kann nicht mit. Die Leute reden zu viel.«
    Der arme Käfer schien wirklich sehr zu erschrecken.
    »Ich verstehe wohl nicht richtig,« stammelte er, »sollte das junge Glück unserer Freundschaft an so gleichgültigen Dingen scheitern? Bedenken Sie doch, Iffi, was kümmern die Leute Sie? Sie haben Ihr Loch, können hineinkriechen, wenn Sie wollen, und wenn Sie tief genug steigen, hören Sie nichts.«
    Iffi lächelte wehmütig und überlegen.
    »Kurt, davon verstehn Sie nichts. Ich habe da meine eigene Anschauung. Übrigens kommt noch etwas hinzu: Sie haben meine Unkenntnis in sehr wenig feiner Weise ausgebeutet, Sie haben sich für einen Rosenkäfer ausgegeben, und gestern sagte mir die Wegschnecke, Sie seien ein Mistkäfer. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Die Wegschnecke hat Sie bei einer Tätigkeit beobachtet, die ich hier nicht weiter kennzeichnen will; Sie werden verstehen, daß ich mich zurückziehe.«
    Als Kurt sich von seinem Schreck erholt hatte, wurde er ärgerlich:
    »Nein, das verstehe ich nicht,« rief er heftig, »ich wünsche um meiner selbst willen geliebt zu sein, und nicht um meiner Beschäftigung willen. Wie können Sie einen Mann danach beurteilen, wo er sich aufhält!«
    »Wenn es nicht grade der Mist wäre, würde ich ein Auge zudrücken«, sagte Iffi zurückhaltend. »Sie müssen auch bedenken, daß eine junge Witwe, deren Gatte erst vor drei Tagen von der Spitzmaus gefressen worden ist, sich die denkbar größte Zurückhaltung auferlegen muß. Also -- leben Sie wohl.«
    Und Iffi war plötzlich mit einem Ruck in ihrer Höhle verschwunden, so rasch, daß es erschien, als habe ein Windstoß sie davongerissen. Maja hatte nicht für möglich gehalten, daß jemand so rasch in einem Loch verschwinden könnte. Jetzt war Iffi fort, und der Käfer starrte mit verblüfftem Gesicht in die leere dunkle Öffnung und sah so dumm dabei aus, daß Maja lachen mußte.
    Endlich besann er sich und begann betrübt und zornig seinen kleinen rundlichen Kopf zu schütteln, und die Fühler hingen traurig nieder, wie zwei verregnete Fächer.
    »Für Charakter und gediegene Lebensführung hat heute niemand mehr Sinn«, seufzte er. »Iffi ist herzlos, ich habe nicht gewagt, es mir einzugestehn, aber es ist der Fall. Aber wenn sie in der Tat nicht das Herz hat, meine Freundin zu sein, so sollte sie wenigstens den Verstand dazu haben.«
    Maja sah, wie Tränen in seine Augen traten, und ihr Herz wurde von Mitleid ergriffen.
    Aber plötzlich kam Bewegung in Kurt. Er wischte die Tränen aus den Augen und trat vorsichtig hinter einen Erdhaufen, den seine Freundin wahrscheinlich aus ihrer Wohnung geschaufelt hatte, und Maja sah einen kleinen rötlichen Regenwurm durch die Gräser kommen. Er hatte eine sehr ungewöhnliche Art der Fortbewegung, bald machte er sich lang und dünn, dann wieder kurz und dick, und seine rote Körperspitze bestand aus lauter zarten Ringen, die sich lautlos verschoben und vorantasteten. Sie erschrak sehr, als Kurt plötzlich einen Schritt aus seinem Versteck hervor machte, den Wurm ergriff und ihn in zwei Hälften zerbiß. Er begann gelassen die eine Hälfte zu verzehren und kümmerte sich wenig um die verzweifelten Windungen, die die beiden Wurmhälften am Boden und in seinen Armen ausführten. Es war ein ganz kleiner Wurm.
    »Nur Geduld,« sagte Kurt, »gleich ist es vorüber.«
    Aber während er kaute, schien er wieder an Iffi zu denken, die er für alle Zeit verloren hatte, und große Tränen rollten über seine Backen.
    Die kleine Maja in ihrem Versteck bedauerte ihn herzlich. Es gibt doch sehr viel Trauriges in der Welt, dachte sie. Da sah sie, daß die eine Wurmhälfte, die Kurt in seiner Bekümmernis zur Seite gelegt hatte, sich eilig entfernte.
    »Nein, so was!« rief sie, und sie tat es vor Schrecken so laut, daß Kurt sich verwundert

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