Die Biene Maja
umschaute.
»Machen Sie Platz!« rief er, als er es hörte.
»Aber ich sitze Ihnen ja gar nicht im Weg«, antwortete Maja.
»Wo sitzen Sie denn?« fragte er, »Sie müssen doch irgendwo sitzen.«
»Hier oben,« rief Maja, »über Ihnen in der Blume.«
»Ich will es Ihnen glauben,« sagte Kurt, »aber ich bin kein Grashüpfer, ich kann mich unmöglich so weit nach oben umdrehn, daß ich Sie sehe. Weshalb haben Sie denn geschrien?«
»Die eine Hälfte vom Wurm läuft fort«, rief Maja.
»Ja, ja,« sagte Kurt und sah dem halben Würmchen nach, »diese Tiere sind sehr regsam. Ich habe keinen Appetit mehr.« Damit warf er den Rest des Wurms fort, den er noch in seinen Händen gehalten hatte, und dieser übriggebliebene Teil entfernte sich nach der andern Seite.
Maja wurde ganz verwirrt, aber Kurt schien mit dieser Eigenart des Wurms vertraut zu sein.
»Sie müssen nicht denken, daß ich immer Wurm esse,« sagte er, »aber es finden sich nicht überall Rosen.«
»Sagen Sie doch wenigstens dem Kleinen, wo seine andere Hälfte hingelaufen ist«, antwortete Maja in großer Erregung.
Kurt schüttelte ernst den Kopf. »Was das Schicksal trennt, soll man nicht wieder zusammenfügen«, meinte er. »Wer sind Sie?«
»Ich bin Maja, vom Volk der Bienen.«
»Das ist mir angenehm,« sagte Kurt, »ich habe nichts gegen die Bienen. Weshalb sitzen Sie denn da herum? Das tun doch sonst Bienen nicht. Sitzen Sie da schon lange?«
»Ich habe hier geschlafen.«
»So«, machte Kurt mißtrauisch. »Hoffentlich haben Sie einen tiefen und gesunden Schlaf. Sie sind wohl eben erst erwacht?«
Maja bestätigte es, denn sie merkte, daß Kurt nicht gerne gesehn hätte, wenn sein Gespräch mit der Grille Iffi belauscht worden wäre, und sie wollte ihn nicht noch einmal betrüben.
Kurt lief hin und her und versuchte hinaufzuschaun. »Warten Sie,« sagte er, »wenn ich mich etwas an jenem Grashalm aufrichte, werde ich Sie sehn können, und Sie können mir in die Augen schaun. Das wollen Sie doch jedenfalls gern.«
»Doch,« sagte Maja, »das wäre mir sehr angenehm.«
Kurt fand einen geeigneten Halm, es war der Stiel einer Butterblume, und da die Blüte sich etwas zur Seite neigte, konnte Maja ihn ansehn, als er sich nun auf die Hinterbeinchen stellte und zu ihr emporschaute. Sie fand, daß er ein freundliches und liebes Gesicht hatte; ganz jung schien er nicht mehr zu sein; und er war etwas voll in den Backen. Nun verbeugte er sich, so daß die Blume ein wenig schaukelte, und stellte sich vor:
»Kurt, von der Familie der Rosenkäfer.«
Die kleine Maja mußte heimlich lachen, denn sie wußte nur zu gut, daß Kurt ein Mistkäfer war, aber da sie ihn nicht kränken wollte, sagte sie nichts darüber.
»Macht Ihnen der Regen nichts aus?« fragte Maja.
»O nein, das bin ich von den Rosen her gewohnt, da regnet es meistens.«
Maja dachte: ein wenig muß ich ihn doch für seine dreisten Lügen strafen, er ist doch ein recht eitler Geselle.
»Kurt,« sagte sie und lächelte vorsichtig, »was ist das da eigentlich für ein Loch unter dem Blatt?«
Kurt erschrak.
»Ein Loch?« fragte er, »sprechen Sie von irgendeinem Loch? Es gibt sehr viele Löcher, es wird so ein Loch sein, irgendsoeins. Sie machen sich keine Vorstellung, wie viele Erdlöcher es gibt.«
Aber in der heimlichen Bestürzung, in die er geraten war, ereignete sich etwas ganz Furchtbares. Kurt hatte in seinem Eifer und in seinem Bemühen, sich möglichst gleichgültig zu stellen, das Übergewicht verloren. Maja hörte ihn verzweifelt aufschreien und gleich darauf sah sie ihn auf dem Rücken liegen und mit Armen und Beinen hilflos und kläglich in der Luft zappeln.
»Es ist aus mit mir!« schrie er, »ich bin nicht in der Lage, mich wieder aufzurichten. Ich werde sterben müssen. Ein bejammernswerteres Geschick ist nie vorgekommen.«
Er klagte so laut, daß er Majas Trostworte nicht verstand. Dabei versuchte er mit seinen Füßen den Boden zu gewinnen, aber jedesmal, wenn er sich festzuhalten glaubte, gaben die kleinen Erdballen nach, die er mühsam ergriffen hatte, und er fiel wieder auf seinen hohen, runden Rücken zurück. Es war wirklich ein außerordentlich trostloser Anblick, und die kleine Maja hatte ehrlich Angst um ihn, zumal er schon ganz bleich im Gesicht war und sein Geschrei in der Tat herzzerreißend klang.
»Ich halte diese Lage nicht aus,« rief er, »schauen Sie wenigstens fort. Quälen Sie nicht einen Sterbenden durch zudringliche Blicke. Ach wenn ich
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