Die Brüder Karamasow
Ein Stückchen Fleisch! Na, ist denn keins da?«
Der Stabskapitän lief eilfertig über den Flur in die Stube der Wirtsleute, wo auch für seine Familie das Essen gekocht wurde. Kolja aber rief, um keine kostbare Zeit zu verlieren, inzwischen dem Hund in aller Eile zu: »Stirb!« Und dieser drehte sich plötzlich um, legte sich auf den Rücken und lag wie tot da, alle vier Pfoten nach oben. Die Jungen lachten; Iljuscha sah mit seinem schmerzlichen Lächeln zu, und am meisten amüsierte sich »Mamachen«, daß Pereswon gestorben war. Sie lachte laut und rief: »Pereswon, Pereswon!«
»Um keinen Preis wird er aufstehen, um keinen Preis!« rief Kolja triumphierend. »Die ganze Welt könnte ihn rufen! Nur wenn ich ihn rufe, springt er auf! Ici, Pereswon!«
Der Hund sprang auf und vollführte, vor Freude winselnd, die tollsten Sprünge. Der Stabskapitän kam mit einem Stück Fleisch herein.
»Ist es auch nicht zu heiß?« fragte Kolja, als er den gekochten Bissen in Empfang nahm. »Nein, es ist nicht zu heiß. Die Hunde mögen nämlich nichts Heißes. Jetzt seht alle her! Iljuschetschka, so sieh doch her, sieh her, Alter! Warum siehst du denn nicht her? Nun habe ich ihm den Hund mitgebracht, und er sieht nicht her!«
Das neue Kunststück bestand darin, daß dem Hund das appetitliche Stückchen Fleisch auf die Nase gelegt wurde. Der unglückliche Köter mußte so lange bewegungslos mit dem Bissen auf der Nase dastehen, wie sein Herr befahl; er durfte sich nicht rühren, selbst wenn es eine halbe Stunde dauerte. Aber Pereswon brauchte diesmal nur eine knappe Minute auszuhalten.
»Faß!« rief Kolja, und sofort flog der Bissen von der Nase in Pereswons Schnauze.
Das Publikum drückte selbstverständlich sein begeistertes Staunen aus.
»Und Sie sind wirklich die ganze Zeit nicht hergekommen, nur um den Hund abzurichten?« rief Aljoscha mit unwillkürlichem Vorwurf.
»Genau deswegen!« rief Kolja harmlos. »Ich wollte ihn in seinem ganzen Glanz präsentieren.«
»Pereswon! Pereswon!« lockte Iljuscha und schnipste dabei mit seinen mageren Fingern.
»Du brauchst ihn nicht erst zu locken. Er soll von selbst zu dir aufs Bett springen. Ici, Pereswon!« rief Kolja und klopfte mit der flachen Hand auf das Bett.
Und Pereswon flog wie ein Pfeil zu Iljuscha hinauf. Dieser umschlang hastig seinen Kopf, und Pereswon leckte ihm zum Dank die Backe. Iljuschetschka schmiegte sich an ihn, streckte sich wieder auf seinem Bett aus und verbarg sein Gesicht in dem struppigen Fell des Tieres.
»O Gott, o Gott!« rief der Stabskapitän.
Kolja setzte sich wieder zu Iljuscha aufs Bett.
»Iljuscha, ich kann dir noch ein Kunststück zeigen. Ich habe dir eine kleine Kanone mitgebracht. Erinnerst du dich, ich habe dir schon damals von ihr erzählt, und du hast gesagt: ›Ach, die möchte ich gern mal sehen!‹ Na, da habe ich sie eben mitgebracht!«
Und Kolja holte die kleine Bronzekanone aus seiner Büchertasche. Er beeilte sich, weil er selbst schon sehr glücklich war; zu anderer Zeit hätte er gewartet, bis der erste Eindruck über Pereswon vorüber war, doch jetzt verschmähte er jeden Aufschub und sagte sich: ›Wenn ihr schon durch das Bisherige so glücklich seid, sollt ihr noch glücklicher werden!‹ Er selbst war schon geradezu berauscht.
»Ich hatte dieses Ding schon vor längerer Zeit bei dem Beamten Morosow gesehen und für dich in Aussicht genommen, Alter. Bei ihm stand es nutzlos herum, er hatte es von seinem Bruder geerbt. Ich erwarb es durch Tausch, indem ich ihm dafür ein Buch aus Papas Bücherschrank gab: ›Der Verwandte Mahomeds‹ oder ›Die heilsame Dummheit‹. Die Schwarte ist hundert Jahre alt und taugt nichts, sie ist in Moskau erschienen, als es noch keine Zensur gab, Morosow ist ein Liebhaber solcher Dinge. Er bedankte sich noch dafür ...«
Kolja hielt die kleine Kanone so in der Hand, daß alle sie sehen und sich daran erfreuen konnten. Iljuscha, den rechten Arm noch immer um Pereswon, richtete sich auf und betrachtete voll Entzücken das kleine Spielzeug. Der Effekt erreichte den Höhepunkt, als Kolja erklärte, er habe auch Pulver und man könne sogleich aus der Kanone einen Schuß abfeuern, »falls das die Damen nicht beunruhigt«. »Mamachen« bat sogleich, ihr das Spielzeug aus der Nähe zu zeigen, was ihr auch sofort erfüllt wurde. Die kleine Kanone mit ihren Rädern gefiel ihr ausnehmend, und sie begann sie auf ihren Knien hin und her zu rollen. Der Bitte, damit schießen zu dürfen, stimmte sie
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