Die Brüder Karamasow
aller Angst um Iljuscha hatte er bis zuletzt keinen Augenblick daran gezweifelt, daß sein Sohn plötzlich genesen würde. Er empfing die kleinen Besucher ehrerbietig, war ihnen gegenüber betulich und diensteifrig und ließ sie auf seinem Rücken reiten; Iljuscha gefielen diese Spiele jedoch nicht, und so wurden sie wieder aufgegeben. Er kaufte für sie allerlei Leckereien wie Pfefferkuchen und Nüsse, bewirtete sie mit Tee und strich ihnen Butterbrote. Er litt in dieser Zeit übrigens keinen Mangel an Geld. Die zweihundert Rubel von Katerina Iwanowna hatte er angenommen, wie es Aljoscha vorausgesagt hatte. Und als Katerina Iwanowna schließlich Näheres über die Lage der Familie und über Iljuschas Krankheit erfahren hatte, war sie selbst zu einem Besuch in die Wohnung gekommen, hatte sich mit der ganzen Familie bekannt gemacht und sogar die schwachsinnige Mutter zu bezaubern vermocht. Seitdem hatte sie mit Unterstützungen nicht gegeizt, und der Stabskapitän selbst, bedrückt durch den schrecklichen Gedanken, sein Sohn könnte sterben, hatte seine früheren Bedenken über eine mögliche Verletzung seiner Ehre vergessen und nahm die Gaben willig an. Die ganze Zeit hatte Doktor Herzenstube auf Katerina Iwanownas Veranlassung den Kranken ständig besucht, und zwar pünktlich jeden Tag. Nutzen brachten seine Besuche allerdings nur wenig, obgleich er den Patienten mit Arzneien vollstopfte. Dafür wurde an diesem Sonntagvormittag beim Stabskapitän ein neuer Arzt erwartet, der aus Moskau gekommen war, wo er als Kapazität galt. Katerina Iwanowna hatte ihn für eine große Summe extra aus Moskau kommen lassen – nicht um Iljuschas willen, sondern zu einem anderen Zweck, von dem später noch die Rede sein wird; da er aber nun einmal da war, hatte sie ihn gebeten, auch Iljuschetschka zu besuchen, und den Stabskapitän im voraus davon benachrichtigt. Von Kolja Krassotkins Kommen hingegen hatte der Stabskapitän nicht die geringste Ahnung, obgleich er schon lange wünschte, daß dieser Junge, der eine Ursache für Iljuschetschkas Kummer war, endlich kam. In dem Augenblick, als Krassotkin die Tür öffnete und in der Stube erschien, standen alle dicht gedrängt um das Bett des Kranken und betrachteten einen winzig kleinen jungen Bullenbeißer, den der Vater soeben mitgebracht hatte; er war erst am vorigen Tag geboren, doch der Stabskapitän hatte ihn schon vor einer Woche bestellt, um Iljuschetschka zu zerstreuen und zu trösten, der dauernd dem verschwundenen und sicherlich schon toten Shutschka nachtrauerte. Iljuscha, der schon vor drei Tagen gehört hatte, daß er ein kleines Hündchen geschenkt bekommen würde, und zwar kein gewöhnliches, sondern einen echten Bullenbeißer, zeigte zwar aus Zartgefühl, daß er sich über das Geschenk freute, aber alle spürten deutlich, daß das neue Hündchen vielleicht nur noch stärker die Erinnerung an den unglücklichen Shutschka wachrief. Das Hündchen lag neben ihm auf dem Bett und krabbelte herum, und er streichelte es, schmerzlich lächelnd, mit seinen blassen, abgemagerten Händchen; man konnte sogar sehen, daß ihm das Hündchen gefiel, aber ... Shutschka war es doch nicht, es war doch nicht Shutschka! Ja, wenn Shutschka und das Hündchen zusammen ... Dann wäre das Glück vollkommen gewesen.«
»Krassotkin!« rief plötzlich einer, der den eintretenden Kolja zuerst erblickt hatte. Es entstand eine merkliche Erregung; die Jungen traten auseinander und stellten sich an beide Seiten des Bettes, so daß Iljuschetschka auf einmal frei zu sehen war.
Der Stabskapitän stürzte dem Ankömmling eifrig entgegen.
»Treten Sie näher, treten Sie näher ... teurer Gast!« stammelte er. »Iljuschetschka, Herr Krassotkin ist zu dir gekommen ...«
Doch Krassotkin bewies, nachdem er dem Stabskapitän rasch die Hand gegeben hatte, unverzüglich seine Kenntnis der Umgangsformen. Er wandte sich mit einer korrekten Verbeugung zuerst an die Gattin des Stabskapitäns, die auf ihrem Lehnstuhl saß und gerade in diesem Augenblick sehr unzufrieden war und darüber murrte, daß die Jungen Iljuschas Bett umlagerten und sie hinderten, das neue Hündchen zu sehen. Dann verbeugte er sich auch vor Ninotschka wie vor einer Dame. Dieses höfliche Benehmen machte auf die kranke Dame einen außerordentlich angenehmen Eindruck.
»Da sieht man doch gleich, daß es ein gut erzogener junger Mann ist«, sagte sie laut. »Aber unsere übrigen Gäste, die kommen einer auf dem anderen herein.«
»Wieso denn
Weitere Kostenlose Bücher