Die Brüder Karamasow
Manche, die in seinem Blick etwas Melancholisches, Düsteres sahen, waren überrascht, wenn er plötzlich auflachte; denn dieses Lachen, das von heiteren, lustigen Gedanken zeugte, erschien gerade, wenn er so düster aussah. Übrigens war ein gewisses krankhaftes Aussehen seines Gesichtes begreiflich; alle wußten oder hatten wenigstens davon reden hören, daß er in letzter Zeit ein überaus wildes, ausschweifendes Leben geführt hatte. Ebenso bekannt war die Heftigkeit, zu der er sich in dem Geldstreit mit seinem Vater hatte hinreißen lassen. In der Stadt waren darüber wilde Gerüchte im Umlauf. Allerdings war er schon von Natur reizbar, »ein impulsiver, nicht normaler Geist«, wie ihn unser Friedensrichter Semjon Iwanowitsch Katschalnikow in einer Gesellschaft treffend charakterisierte. Tadellos und elegant gekleidet trat er ein; im zugeknöpften Oberrock, mit schwarzen Handschuhen, den Zylinder in der Hand. Als unlängst verabschiedeter Offizier trug er nur einen Schnurrbart. Sein kurzgeschnittenes dunkelblondes Haar war an den Schläfen nach vorn gekämmt. Sein Gang war fest, weit ausgreifend, wie beim Marschieren mit der Truppe. Einen Augenblick blieb er auf der Schwelle stehen, ließ den Blick über die Anwesenden gleiten und ging dann direkt auf den Starez zu, in dem er den Hausherrn erkannt hatte. Nachdem er sich tief verbeugt hatte, bat er um den Segen. Der Starez erhob sich und segnete ihn. Dmitri Fjodorowitsch küßte ihm respektvoll die Hand und sagte dann erregt, fast heftig: »Verzeihen Sie großmütig, daß ich so lange auf mich warten ließ. Der Diener Smerdjakow, den mein Vater zu mir schickte, antwortete auf meine Frage nach der Zeit zweimal auf das bestimmteste, die Zusammenkunft finde um ein Uhr statt. Jetzt höre ich auf einmal ...«
»Beunruhigen Sie sich nicht!« unterbrach ihn der Starez. »Das macht nichts. Sie haben sich ein wenig verspätet, das ist kein Unglück ...«
»Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar und konnte auch von Ihrer Güte nichts anderes erwarten.«
Nach diesen kurz herausgestoßenen Worten verbeugte sich Dmitri Fjodorowitsch noch einmal vor dem Starez und wandte sich dann zum Vater, um auch vor ihm sich ebenso respektvoll und tief zu verbeugen. Es war klar, daß er diese Verbeugung von vornherein beabsichtigt und sie aufrichtig gemeint hatte; er hielt es einfach für seine Pflicht, auf diese Weise seinen Respekt und seine guten Absichten auszudrücken. Fjodor Pawlowitsch machte diese Überraschung verlegen, doch fand er sich sofort auf seine Art wieder zurecht: Er sprang von seinem Lehnstuhl auf und verbeugte sich ebenso tief vor seinem Sohn. Sein Gesicht wurde plötzlich vielsagend ernst, was außerordentlich böse wirkte. Darauf begrüßte Dmitri Fjodorowitsch alle anderen Anwesenden mit einer allgemeinen Verbeugung, ging mit seinen großen, festen Schritten zum Fenster und setzte sich dort auf den einzigen noch freigebliebenen Stuhl, nicht weit von Vater Paissi. Er saß mit vorgebeugtem Oberkörper, bereit, die Fortsetzung des durch ihn unterbrochenen Gespräches mit anzuhören.
Die Störung hatte kaum zwei Minuten gewährt, und man konnte nicht umhin, das Gespräch wiederaufzunehmen. Doch Pjotr Alexandrowitsch hielt es jetzt nicht für nötig, auf Vater Paissis nachdrückliche, beinahe gereizte Frage zu antworten.
»Gestatten Sie mir, die weitere Erörterung dieses Themas abzulehnen«, sagte er mit einer gewissen weltmännischen Lässigkeit. »Das Thema ist ohnehin besonders schwierig. Sehen Sie, Iwan Fjodorowitsch lächelt. Offenbar hat er bei dieser Gelegenheit etwas Interessantes vorzubringen. Fragen Sie lieber ihn!«
»Ich habe nichts Besonders zu sagen«, antwortete Iwan Fjodorowitsch. »Ich wollte nur die kurze Bemerkung machen, daß der westeuropäische Liberalismus und sogar unser russischer liberaler Dilettantismus seit längerer Zeit die Endziele des Sozialismus des öfteren mit denen des Christentums verwechselt. Dieser Fehlschluß ist allerdings charakteristisch. Übrigens schienen nicht nur die Liberalen und die Dilettanten den Sozialismus mit dem Christentum zu verwechseln, sondern vielfach auch die Gendarmen, natürlich die ausländischen. Ihr Pariser Geschichtchen ist sehr bezeichnend, Pjotr Alexandrowitsch.«
»Ich bitte nochmals um die Erlaubnis, dieses Thema verlassen zu dürfen«, wiederholte Pjotr Alexandrowitsch. »Statt dessen will ich Ihnen ein anderes hochinteressantes und charakteristisches Geschichtchen über Iwan Fjodorowitsch
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