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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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lang mit dem Opfer, wobei er sich darüber klarzuwerden versucht, ob er ihn totgeschlagen hat oder nicht. Und der Ankläger will nun um keinen Preis an die Wahrheit der Aussage des Angeklagten glauben, daß er aus Mitleid zu dem alten Grigori hinabgesprungen sei. ›Nein‹, sagt er, ›ist in einem solchen Augenblick etwa so eine Empfindsamkeit möglich? Das ist unnatürlich! Er ist hinabgesprungen, um sich zu überzeugen, ob der einzige Zeuge seiner Freveltat am Leben war oder nicht; folglich hat er damit auch bezeugt, daß er diese Freveltat begangen hat, da er aus keinem anderen Grund, keinem anderen Drang oder Gefühl in den Garten springen konnte.‹ Das ist reine Psychologie! Nehmen wir aber einmal diese selbe Psychologie und legen wir sie an die Sache an, nur vom anderen Ende her, und es wird etwas herauskommen, was keineswegs weniger wahrscheinlich ist. Der Mörder springt also aus Vorsicht hinunter, um sich zu überzeugen, ob der Zeuge lebt oder nicht, dabei hat er soeben im Zimmer des von ihm ermordeten Vaters nach dem Zeugnis des Anklägers ein höchst wichtiges Indiz gegen sich zurückgelassen: das zerrissene Kuvert, auf dem geschrieben stand, es enthalte dreitausend Rubel. ›Hätte er dieses Kuvert mitgenommen, so hätte niemand erfahren, daß ein Kuvert mit Geld vorhanden war, und folglich hätte auch niemand erfahren, daß der Angeklagte das Geld geraubt hatte.‹ Das ist ein Ausspruch des Anklägers selbst. Nun, zu dem einen hat seine Vorsicht also nicht ausgereicht; er hatte den Kopf verloren, es mit der Angst bekommen und war weggelaufen, wobei er ein Indiz gegen sich auf dem Fußboden zurückließ. Doch als er ungefähr zwei Minuten später einen anderen Menschen niedergeschlagen hat, da erscheint sogleich die herzloseste, berechnendste Vorsicht zu unseren Diensten. Aber mag es auch so gewesen sein: Die Feinheit der Psychologie besteht ja eben darin, daß ich unter solchen Umständen jetzt blutrünstig und scharfsinnig bin wie ein kaukasischer Adler und im nächsten Augenblick blind und ängstlich wie ein kläglicher Maulwurf. Doch wenn ich nun schon so blutdürstig und grausam berechnend bin, daß ich nach dem Mord nur zu dem Zweck hinunterspringe, um zu sehen, ob der gefährliche Zeuge lebt oder nicht – wozu gebe ich mich dann ganze fünf Minuten lang mit diesem neuen Opfer ab, auf die Gefahr hin, mir womöglich neue Zeugen auf den Hals zu laden? Wozu mache ich mein Taschentuch blutig, indem ich ihm das Blut vom Kopf wische, obwohl doch dieses Tuch später als Indiz gegen mich dienen kann? Nein, wenn wir schon so berechnend und hartherzig sind, wäre es dann nicht besser gewesen, dem Diener mit demselben Stößel einfach noch einen Schlag oder ein paar Schläge auf den Kopf zu versetzen, um ihn ganz zu töten und durch Vernichtung dieses Zeugen das Herz von jeder Sorge zu befreien? Und weiter. Ich springe hinab, um festzustellen, ob der Zeuge meiner Tat noch lebt oder nicht, und lasse ebendort auf dem Weg einen anderen Zeugen zurück, jenen Stößel, den ich mir bei zwei Frauen angeeignet habe, die beide jederzeit diesen Stößel als den ihrigen rekognoszieren und bezeugen können, daß ich ihn bei ihnen weggenommen habe. Und nicht etwa, daß ich ihn im Garten vergessen, ihn aus Zerstreutheit und Fassungslosigkeit hätte fallen lassen – nein, wir haben unsere Waffe geradezu weggeworfen; denn sie ist ungefähr fünfzehn Schritte entfernt von der Stelle, wo Grigori zu Boden geschlagen wurde, gefunden worden. Es entsteht also die Frage, warum wir so gehandelt haben. Und die Antwort wird lauten: Eben deshalb, weil es uns bitter leid tat, einen Menschen, einen alten Diener totgeschlagen zu haben; und dann haben wir im Ärger den Stößel als die Mordwaffe mit einem Fluch fortgeschleudert. Anders kann es nicht gewesen sein, was wäre sonst für ein Grund gewesen, sie mit solchem Schwung wegzuwerfen? Wenn wir aber imstande waren, Schmerz und Bedauern darüber zu empfinden, daß wir einen Menschen getötet hatten, so war das natürlich deshalb der Fall, weil wir den Vater nicht getötet hatten. Hätten wir den Vater getötet, wären wir nicht aus Mitleid zu einem anderen hinabgesprungen, den wir nur zu Boden geschlagen hatten! Dann wäre bei uns schon ein anderes Gefühl vorhanden gewesen, dann hätten wir nicht an Mitleid gedacht, sondern an unsere eigene Rettung! So wäre das sicherlich gewesen. Wir hätten ihm vielmehr, ich wiederhole es, den Schädel gänzlich eingeschlagen und uns nicht fünf

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