Die Brueder Karamasow
gesagt.«
»Das war eine Verbeugung vor dem Liberalismus. Er fürchtet sich.«
»Auch vor dem Rechtsanwalt hat er Angst.«
»Ja, was wird nun wohl Herr Fetjukowitsch sagen?«
»Na, mag er sagen, was er will – unsere Bauern wird er nicht herumkriegen.«
»Meinen Sie?«
In einer vierten Gruppe:
»Aber was er da von der Troika sagte, war doch schön, ich meine, wo er von den anderen Völkern sprach.«
»Und das war die Wahrheit! Du entsinnst dich gewiß, wie er sagte, daß die anderen Völker nicht warten würden?«
»Wieso?«
»Im englischen Parlament hat sich erst vorige Woche wegen unserer Nihilisten ein Mitglied erhoben und gefragt, ob es nicht an der Zeit sei, bei so einer barbarischen Nation wie uns einzugreifen und uns Bildung beizubringen. Den hat Ippolit mit seinen Worten gemeint! Ich weiß, daß er den gemeint hat. Er hat in der vorigen Woche davon gesprochen.«
»Du machst umsonst die Pferde scheu!«
»Wieso umsonst? Warum?«
»Wir sperren ihnen den Hafen von Kronstadt und geben ihnen kein Getreide mehr. Wo sollen sie es dann hernehmen?«
»Nun, aus Amerika. Heutzutage kommt alles aus Amerika.«
»Unsinn!«
Doch da läutete die Glocke, und alle stürzten zu ihren Plätzen. Fetjukowitsch trat ans Rednerpult.
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10.
Die Rede des Verteidigers. Der Stab mit zwei Enden
Alles wurde still, als die ersten Worte des berühmten Redners ertönten. Die Blicke aller Anwesenden hingen seitdem unverwandt an ihm. Er begann ohne weitere Vorrede, außerordentlich schlicht und in sehr überzeugtem Ton, doch ohne eine Spur von Anmaßung. Er machte nicht den geringsten Versuch, formvollendet zu sprechen, pathetische Töne anzuschlagen, durch gefühlvoll klingende Wendungen zu wirken. Er war einfach ein Mensch, der in einem intimen Kreis von Gesinnungsgenossen sprach. Er hatte eine schöne, laute, sympathische Stimme, und schon aus dieser Stimme glaubte man seine Aufrichtigkeit und Treuherzigkeit herauszuhören. Aber allen wurde sofort klar, daß der Redner imstande war, sich plötzlich zu wahrhaft pathetischer Diktion zu erheben und »mit unerhörter Kraft an die Herzen zu schlagen«. Er sprach vielleicht weniger regelgerecht als Ippolit Kirillowitsch, doch dafür ohne lange Sätze und klarer. Eines jedoch mißfiel unseren Damen etwas – er krümmte immerzu eigentümlich den Rücken, besonders am Anfang seiner Rede, nicht als ob er sich verbeugen wollte, sondern als ob es ihn zu seinen Zuhörern hinzog und er sich anschickte, zu ihnen zu fliegen; dabei schien er sich mit der Hälfte seines langen Rückens nach vorn zu beugen, als hätte er in der Mitte desselben ein Scharnier, als ließe sich der Rücken gewissermaßen in einem rechten Winkel knicken. Zu Beginn seiner Rede sprach er scheinbar unzusammenhängend, als griffe er ohne Methode hier und da einzelne Tatsachen heraus; schließlich ergab das aber doch ein abgeschlossenes Ganzes. Man konnte seine Rede in zwei Teile teilen. Der erste Teil enthielt die Kritik: eine zuweilen boshafte und sarkastische Widerlegung der Anklage. Im zweiten Teil änderte er auf einmal seinen Ton, ja sogar sein ganzes Wesen und schwang sich plötzlich zu Pathos auf. Die Zuhörer schienen das erwartet zu haben und zitterten nur so vor Entzücken. Er kam sogleich zur Sache und begann damit, sein Arbeitsfeld sei zwar eigentlich Petersburg, doch habe er schon wiederholt auch andere Städte Rußlands aufgesucht, um Angeklagte zu verteidigen – aber nur solche, deren Unschuld er entweder mit Sicherheit erkannt hatte oder doch vorausfühlte. »Ebenso erging es mir in vorliegendem Fall«, fuhr er fort. »Schon aus den ersten Zeitungsnachrichten schimmerte mir etwas entgegen, was mich außerordentlich zugunsten des Angeklagten beeindruckte. Kurz, mich interessierte vor allem eine gewisse juristische Tatsache, die sich in der Gerichtspraxis zwar häufig wiederholt, aber, wie mir scheint, nicht leicht in solcher Vollkommenheit und mit so charakteristischen Besonderheiten wie in dem vorliegenden Prozeß. Diese Tatsache müßte ich eigentlich erst am Schluß meiner Rede formulieren; dennoch werde ich meinen Gedanken jetzt gleich am Anfang aussprechen. Es ist eine Schwäche von mir, sofort zur Sache zu kommen, ohne mir die Effekte aufzusparen und ohne mit den beabsichtigten Eindrücken ökonomisch zu verfahren. Damit erweise ich mich vielleicht als schlechter Redner, dafür jedoch als offenherziger Mensch ... Mein Gedanke ist, in knapper Form, folgender: Es besteht ein
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