Die Brüder Karamasow
gestellt, drei Fragen auszusinnen und zu formulieren, aber so, daß sie nicht nur der Größe des Ereignisses entsprächen, sondern darüber hinaus in drei Worten, in nicht mehr als drei menschlichen Sätzen die gesamte künftige Geschichte der Welt und des Menschengeschlechts zum Ausdruck brächten – meinst du, daß die gesamte vereinigte Weisheit der Erde etwas ersinnen könnte, was an Kraft und Tiefe jenen drei Worten gleichkäme, die dir damals von dem mächtigen, klugen Geist in der Wüste tatsächlich vorgelegt wurden? Schon an diesen Fragen, allein an dem Wunder, daß und wie sie gestellt wurden, läßt sich erkennen, daß man es nicht mit einem menschlichen vergänglichen Verstand, sondern mit einem ewigen, absoluten zu tun hat. Denn in diesen drei Fragen ist gleichsam die gesamte weitere Geschichte des Menschengeschlechts zusammengefaßt und vorhergesagt. Es sind die drei Formen aufgezeigt, in denen alle unlösbaren historischen Widersprüche der menschlichen Natur auf dieser Erde eingeschlossen sind. Damals konnte das noch nicht verständlich werden, denn die Zukunft war unbekannt. Doch jetzt, da fünfzehn Jahrhunderte vergangen sind, erkennen wir, daß mit diesen drei Fragen alles so genau vorhergesagt und so genau eingetroffen ist, daß ihnen nichts mehr hinzugefügt oder von ihnen weggenommen werden kann.
Entscheide selbst, wer recht hatte: Du oder jener, der dich damals fragte. Erinnere dich an die erste Frage! Wenn sie auch nicht buchstäblich so lautete, ihr Sinn war doch folgender: ›Du willst in die Welt gehen und gehst mit leeren Händen, mit einem Versprechen von Freiheit, das sie in ihrer Einfalt und angeborenen Schlechtigkeit nicht einmal begreifen können, das ihnen Furcht und Schrecken einflößt – denn nichts ist jemals für den Menschen und für die menschliche Gesellschaft unerträglicher gewesen als Freiheit! Aber siehst du die Steine hier in dieser nackten, glühenden Wüste? Verwandle sie in Brot, und die Menschheit wird dir wie eine Herde nachlaufen, dankbar und gehorsam, wenn auch in steten Zittern, du könntest deine Hand von ihnen nehmen, und es hätte dann mit deinen Broten für sie ein Ende!‹ Du wolltest den Menschen nicht der Freiheit berauben und verschmähtest den Vorschlag. Denn was ist das für eine Freiheit, so urteiltest du, wenn der Gehorsam durch Brot erkauft wird? Du erwidertest, der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Weißt du jedoch, daß sich der Geist der Erde im Namen dieses Brotes gegen dich erheben und dich besiegen wird, daß alle ihm folgen werden mit dem Ruf: ›Wer tut es diesem Tier gleich? Es gab uns das Feuer vom Himmel!‹ Weißt du auch, daß die Menschheit nach Jahrhunderten durch den Mund ihrer Weisen und Gelehrten verkünden wird, es gebe kein Verbrechen und folglich auch keine Sünde, sondern es gebe nur Hungrige? Mach sie satt, und verlang erst dann von ihnen Tugend – dies werden sie auf ihr Banner schreiben, das sie gegen dich erheben und durch das sie deinen Tempel stürzen werden. Anstelle deines Tempels wird man einen neuen Bau aufführen. Erheben wird sich erneut ein furchtbarer Turm von Babylon, und obgleich der ebensowenig wie der frühere zu Ende gebaut werden dürfte, hättest du ihn doch vermeiden und die Leiden der Menschen um tausend Jahre verkürzen können! Zu uns nämlich kommen sie, wenn sie sich tausend Jahre mit ihrem Turm abgequält haben. Sie werden uns wieder unter der Erde suchen, in den Katakomben, in denen wir uns verborgen halten, denn wir werden wieder verfolgt und gemartert sein. Sie werden uns finden und uns zurufen: Macht uns satt! Die uns das Feuer vom Himmel versprachen, haben es uns nicht gegeben ... Und dann werden wir auch ihren Turm zu Ende bauen, denn zu Ende bauen wird ihn, wer sie satt macht. Satt machen aber werden nur wir sie, und wir werden lügen, es geschehe in deinem Namen. Oh, niemals werden sie ohne uns satt werden! Keine Wissenschaft wird ihnen Brot geben, solange sie frei bleiben – und enden wird es damit, daß sie uns ihre Freiheit zu Füßen legen und sagen: Knechtet uns lieber, aber macht uns satt! Sie werden schließlich selbst begreifen, daß Freiheit und reichlich Brot für alle zusammen nicht denkbar ist, denn niemals, niemals werden sie imstande sein, untereinander zu teilen! Sie werden auch zu der Überzeugung gelangen, daß sie niemals frei sein können, weil sie schwach, lasterhaft, bedeutungslos und rebellisch sind. Du versprachst ihnen himmlisches Brot, doch ich wiederhole:
Weitere Kostenlose Bücher