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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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krankheitshalber in Moskau geblieben war und der sie wöchentlich zwei ausführliche Briefe schreiben mußte.
    Als Aljoscha ins Vorzimmer trat und das Stubenmädchen, das ihm geöffnet hatte, bat, ihn anzumelden, wußte man im Salon offenbar schon von seiner Ankunft, vielleicht hatte man ihn durchs Fenster bemerkt.
    Aljoscha hörte auf einmal Geräusche, Schritte von Frauenfüßen und das Rascheln von Kleidern; zwei oder drei Frauen schienen den Salon zu verlassen. Es erschien ihm sonderbar, daß seine Ankunft eine solche Aufregung hervorrief. Doch er wurde sofort in den Salon geführt. Es war ein großes, mit eleganten Möbeln reichlich ausgestattetes Zimmer, ganz und gar nicht im Geschmack der Provinz: mit vielen großen und kleinen Sofas und Chaiselongues, großen und kleinen Tischen, Gemälden an den Wänden, Vasen und Lampen auf den Tischen, vielen Blumen und sogar mit einem Aquarium am Fenster. Infolge der Dämmerung war es im Zimmer etwas dunkel. Aljoscha bemerkte dennoch auf einem Sofa, wo die Damen augenscheinlich soeben gesessen hatten, einen seidenen Umhang und auf dem Tisch vor dem Sofa zwei nicht ausgetrunkene Tassen Schokolade, Biskuits, einen Kristallteller mit Rosinen und einen anderen mit Konfekt. Es wurde also irgendein Besuch bewirtet. Aljoscha glaubte, ungelegen gekommen zu sein, und runzelte die Stirn. Aber in demselben Augenblick öffnete sich eine Portiere; Katerina Iwanowna trat mit schnellen Schritten ein und streckte ihm fröhlich lächelnd beide Hände entgegen. Gleichzeitig brachte eine Magd zwei brennende Kerzen und stellte sie auf den Tisch.
    »Gott sei Dank, daß Sie endlich da sind! Den ganzen Tag habe ich Gott nur darum gebeten, er möchte Sie zu mir führen! Setzen Sie sich!«
    Katerina Iwanownas Schönheit hatte schon früher einen starken Eindruck auf Aljoscha gemacht, als ihn sein Bruder Dmitri auf Katerina Iwanownas eigenes dringendes Verlangen vor drei Wochen zum erstenmal mitgebracht und ihr vorgestellt hatte. Ein Gespräch war übrigens bei jenem Zusammensein zwischen ihnen nicht in Gang gekommen. In der Annahme, Aljoscha sei verlegen, hatte Katerina Iwanowna ihn gewissermaßen geschont und die ganze Zeit nur mit Dmitri Fjodorowitsch geredet. Aljoscha hatte geschwiegen, aber vieles genau beobachtet. Das gebieterische Wesen, die vornehme Ungezwungenheit, das Selbstbewußtsein des stolzen Mädchens hatten ihn frappiert. Und zwar bestand an alldem kein Zweifel; Aljoscha fühlte, daß er diese Eigenschaften nicht etwa unwillkürlich vergrößerte. Er fand ihre großen, schwarzen, flammenden Augen schön und besonders gut passend zu ihrem blassen, etwas länglichen Gesicht. Doch lag in diesen Augen wie in dem Schnitt. der reizenden Lippen etwas, worin sich zwar sein Bruder verlieben konnte, was man aber vielleicht nicht allzu lange zu lieben vermochte.
    Das sprach er seinem Bruder Dmitri gegenüber offen aus, als ihn dieser nach dem Besuch dringend bat, ihm nicht zu verheimlichen, welchen Eindruck seine Braut auf ihn gemacht habe.
    »Du wirst mit ihr glücklich sein. Aber vielleicht ... vielleicht wird diesem Glück Ruhe fehlen.«
    »Das ist es eben, Bruder! Solche Frauen bleiben, wie sie nun einmal sind. Sie passen sich ihrem Schicksal nicht an. Also meinst du, daß ich sie nicht mein Leben lang lieben werde?«
    »So meine ich es nicht. Du wirst sie vielleicht dein Leben lang lieben, doch wirst du mit ihr nicht immer glücklich sein.«
    Als Aljoscha diese Meinung damals ausgesprochen hatte, war er errötet und hatte sich über sich selbst geärgert, weil er den Bitten seines Bruders nachgegeben und so »dumme« Gedanken vorgebracht hatte. Diese Meinung war ihm nämlich sofort wirklich dumm vorgekommen. Auch hatte er sich geschämt, daß er ein so anmaßendes Urteil über ein weibliches Wesen abgegeben hatte ...
    Mit um so größerem Erstaunen fühlte er jetzt beim erneuten Anblick Katerina Iwanownas, daß er sich damals vielleicht geirrt hatte. Diesmal strahlte ihr Gesicht von unverstellter, schlichter Güte, von offener, warmer Herzlichkeit. Von dem ganzen früheren vornehmen Stolz, der ihn einst so frappiert hatte, war jetzt nur edle Energie und starker Glaube an sich selbst zu spüren. Aljoscha erkannte bei ihren ersten Worten, daß ihr die ganze Tragik des Verhältnisses zu dem von ihr geliebten Mann durchaus kein Geheimnis war, daß sie vielleicht schon alles wußte, schlechterdings alles. Und trotz alledem, so feine Heiligkeit, so ein Glaube an die Zukunft in ihrem Gesicht!

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