Die Brüder Karamasow
wie soll diese furchtbare Spannung zwischen dem Vater und Dmitri enden?« rief Aljoscha aus.
»Das läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht verklingt nie allmählich. Diese Frau ist eine Bestie. Wir müssen den Alten im Haus festhalten und dürfen Dmitri nicht hereinlassen.«
»Bruder, erlaube mir noch eine Frage. Hat wirklich jeder Mensch das Recht zu entscheiden, wer würdig ist zu leben und wer nicht mehr?«
»Wozu solche Urteile abgeben? Die Frage, ob man jemand ein längeres Leben wünschen soll, wird in den Herzen der Menschen meist unter dem Einfluß anderer, weit natürlicherer Urnachen entschieden. Was nun das Recht anlangt – wer hätte nicht das Recht, etwas zu wünschen?«
»Aber doch nicht den Tod eines anderen?«
»Meinetwegen auch den Tod. Wozu sich selbst belügen, wo doch alle Menschen so leben und wahrscheinlich gar nicht anders leben können? Sagst du das mit Bezug auf meine Äußerung, daß zwei Reptile einander auffressen? Erlaube, daß ich in diesem Falle frage: Hältst du mich wie unseren Bruder Dmitri für fähig, das Blut des Alten zu vergießen, das heißt, Ihn zu töten?«
»Was redest du da, Iwan! So ein Gedanke ist mir nie gekommenen! Und wohl auch Dmitri nicht, glaube ich ...«
»Ich danke dir für die gute Meinung«, erwiderte Iwan lächelnd. Du sollst wissen, daß ich ihn immer verteidigen werde. Was nun meine Wünsche angeht, so behalte ich mir die Entscheidung vor. Auf Wiedersehen morgen! Verdamme mich nicht! Und betrachte mich nicht als Übeltäter« fügte er lächelnd hinzu. Sie drückten einander so kräftig die Hand, wie sie es nie vorher getan hatten. Aljoscha fühlte, der Bruder war ihm als erster einen Schritt entgegengekommen. Das mußte er zu irgendeinem Zweck, mit irgendeiner Absicht getan haben.
10. Beide Frauen zusammen
Aljoschas Gemütsstimmung war beim Verlassen des väterlichen Hauses noch trüber und gedrückter als bei seiner Ankunft. Auch sein Denken war sozusagen zerstückelt und zersplittert, während er doch gleichzeitig Furcht davor verspürte, das Zerstückelte zu vereinigen, aus den qualvollen Widersprüchen, die er an diesem Tag durchlebt hatte, die einheitliche Idee herauszufinden. Sein Zustand grenzte beinahe an Verzweiflung, was Aljoscha bisher nie vorgekommen war. Alle anderen Fragen überragte wie ein Berg die verhängnisvolle, unlösbare Hauptfrage: Wie wird die Spannung zwischen dem Vater und dem Bruder Dmitri wegen dieser schrecklichen Frau enden? Jetzt war er schon selbst Zeuge der Spannung geworden. Er hatte gesehen, wie sie zueinander standen. Für unglücklich, im höchsten Grade und in schrecklicher Weise unglücklich mußte er seinen Bruder Dmitri halten; ihn erwartete zweifellos schweres Leid. Es hatte sich nun erwiesen, daß all dies auch noch andere Menschen berührte, und vielleicht in weit höherem Maße, als Aljoscha hatte vermuten können. Etwas Rätselhaftes war geschehen. Sein Bruder Iwan war ihm einen Schritt entgegengekommen, was Aljoscha schon so lange gewünscht hatte; und nun hatte er selbst aus irgendwelchem Grund das Gefühl, daß dieser Schritt der Annäherung ihn erschreckte. Und jene Frauen? Sonderbar: Vorhin, auf dem Weg zu Katerina Iwanowna, war er außerordentlich befangen, doch jetzt empfand er nichts Derartiges – im Gegenteil, er hatte es selbst eilig, zu ihr zu kommen, als erwartete er bei ihr eine Klärung. Und doch schien es jetzt schwerer als vorhin, den Auftrag auszurichten; die Sache mit den dreitausend Rubeln war endgültig entschieden, und es war natürlich zu erwarten, daß Dmitri, der sich jetzt für ehrlos und jeder Hoffnung beraubt halten mußte, ohne Scham moralisch immer tiefer sinken würde. Außerdem hatte er nun noch von ihm verlangt, Katerina Iwanowna von der Szene soeben beim Vater zu berichten.
Es war sieben Uhr und dunkelte bereits, als Aljoscha in Katerina Iwanowas geräumigem, komfortablem Haus in der Bolschajastraße eintraf. Er wußte, daß sie mit zwei Tanten zusammen lebte. Eine von ihnen war die Tante der Stiefschwester Agafja Iwanowna, jene schweigsame Person im Hause ihres Vaters, die sich gemeinsam mit der Stiefschwester in jeder Weise um sie gesorgt hatte, als sie aus dem Institut zu ihnen gekommen war. Die andere Tante war eine vornehme, aber arme Moskauer Dame. Es hieß, diese beiden ordneten sich in allem Katerina Iwanowna unter und wohnten nur um des Anstandes willen bei ihr. Katerina Iwanowna jedoch ordnete sich nur ihrer Wohltäterin, der Generalin, unter, die
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