Die Buchmalerin
Antlitz, das einen wirklichen Menschen zeigte und das in ihr den Wunsch geweckt hatte, die Gesichter wirklicher Menschen zu malen. Für Momente vergaß Donata ihre Furcht und schaute den Mann nur an.
Als der Mönch wieder zu reden begann, kehrte die Angst zurück. Ihr Leben war verwirkt, wenn die Männer sie fanden und einem Verhör unterzogen. Einzelne lateinische Wörter drangen an Donatas Ohr, die sie verstand. Doch sie fürchtete sich zu sehr, als dass sie die Ausdrücke hätte zusammenfügen können. Dennoch vermochte sie es nicht, ihren Blick von der im Licht der Fackel seltsam unwirklichen Szene abzuwenden. Wie immer, wenn sie sich ängstigte, versuchte sie, sich Einzelheiten einzuprägen. Das Gesicht des höfisch gewandeten Mannes war oval, seine Nase kurz und gerade. Die Augenbrauen bildeten dicke Striche. Ein Mensch, der das mittlere Lebensalter schon erreicht hatte oder kurz davor stand. Die Züge des Mannes, der die Fackel hielt – ein Diener wohl –, waren eher grobschlächtig, die Höcker in seiner Nase wiesen darauf hin, dass sie mehrmals gebrochen war.
Wieder wanderte ihr Blick zu dem Mann, der den roten samtenen Mantel trug. Noch immer lag ein Lächeln auf seinem Gesicht. Nun beugte er sich vor und legte dem Mönch den Arm in einer beinahe freundschaftlichen Geste um die Schultern. Im nächsten Moment blitzte Metall auf. Der Dominikaner stieß einen schrillen Schrei aus und sein Leib krümmte sich.
Donata wollte die Augen schließen, doch sie konnte den Blick nicht abwenden. Sie sah, wie die Hand des Mannes eine rasche Drehung vollführte, als er mit dem Messer die Bauchdecke des Mönches aufriss. Sie sah sein Gesicht. Es trug einen gelangweilten Ausdruck, während er den Mönch beobachtete, dessen Schmerzensschrei schriller und schriller wurde. Sie sah, wie Blut und Gedärm zwischen den knochigen Händen des Dominikaners hervorquollen, wie er langsam zu Boden sank und sich im Schnee wand, der sich dunkel färbte, und sie sah die Miene des höfisch gekleideten Mannes, verzerrt von Entsetzen und Unglauben.
Die zuckenden Bewegungen des Mönches wurden schwächer, erstarben schließlich ganz. Als er regungslos liegen blieb, stieß der Fremde in dem roten Mantel mit der Außenseite seines Stiefels leicht gegen den Brustkorb des Dominikaners, so als wollte er ein Stück Unrat beiseite schieben. Der Körper des Mönches bewegte sich ein wenig, rollte jedoch sofort wieder in seine ursprüngliche Lage zurück.
Der Höfling fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als versuchte er, einen schlimmen Traum zu vertreiben. »Bei Gott! Warum habt Ihr das getan?«
Der vornehme Fremde musterte ihn, ehe er mit einer Stimme, die kalt und sanft zugleich war, sagte: » Euch bin ich keine Rechenschaft über mein Tun schuldig. Und Euer Herr wird mir – denke ich – dankbar dafür sein, dass ich ihn von einem Mönch befreit habe, der sich erdreistete, seine Autorität zu untergraben, und der eine stete Quelle des Zwistes und des Ärgers war.«
Plötzlich bewegte sich der Oberkörper des Dominikaners. Donata, die dies vor den Männern bemerkte, schrie unwillkürlich leise auf, ehe sie die Hände vor den Mund schlug und die Zähne in ihre Finger grub, um jeden weiteren Laut zu unterdrücken. Doch der rasselnde Atem des Mönchs, dessen Hände den Pelzbesatz des roten Mantels umklammerten, hatte ihren leisen Aufschrei ohnehin übertönt.
»Enzio von Trient … Verräter, wie Judas einer war!«, stöhnte der Mönch, während er mit brennenden Augen zu seinem Mörder aufsah. »Mein Blut wird über Euch kommen …«
Der Fremde war einen Schritt zurückgewichen, als sich der vermeintlich Tote aufgerichtet hatte. Doch nun hatte er seinen Gleichmut wiedererlangt. »Ihr habt verloren«, entgegnete er ruhig.
Der Dominikaner öffnete mit großer Anstrengung die Lippen. Doch ehe er noch etwas sagen konnte, hatte sich der Mann in dem roten Mantel gebückt und ihm das Messer mit einer raschen Bewegung tief in die Brust gestoßen. Der Mönch zuckte, dann sank sein Kopf mit einem Seufzen zur Seite, während seine Hände immer noch den Pelzbesatz des Mantels umklammert hielten.
Donata presste sich zitternd gegen die Steine des Altarsockels und schloss die Augen. Für kurze Zeit war noch die gedämpfte Stimme des Fremden zu vernehmen. Ein leises Murmeln wie das eines, dem ersten Anschein nach, sanft fließenden Baches, dem jedoch eine gefährliche Unterströmung zu Eigen war. Eine raue Stimme, es musste die des Dieners sein,
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