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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Schein, der nun beinahe bis auf den Boden des verschneiten Talgrundes reichte, glaubte Donata plötzlich, einen Einschnitt zwischen den Stämmen wahrzunehmen. Sie folgte ihm einige Schritte und war darauf gefasst, dass ihr sofort wieder Bäume und Gebüsch den Weg versperrten. Doch der Einschnitt schien sich als ein Spalt fortzusetzen, der zwischen den hohen Stämmen hügelan führte. Ein Spalt, der vielleicht, wenn nicht Schnee den Waldboden bedeckt hätte, als Pfad erkennbar gewesen wäre.
    Sie zögerte. Was, wenn sich der Weg als eine Täuschung erwies und irgendwo zwischen den Bäumen endete? Wenn sie sich, wie am vergangenen Tag, im Wald verirrte? Doch die Kälte, die durch ihre Kleidung drang, ließ ihr keine Wahl. Sie lief weiter, wobei sie bei jedem Schritt fast bis zu den Knien im Schnee einsank.
    Der schmale Durchgang zwischen den Stämmen verlief steil hügelauf, dann eine ganze Zeit beinahe eben auf dem Kamm entlang, wo der Schnee an manchen Stellen verharscht und glatt wie Eis war, und schließlich wieder abwärts. Einmal meinte Donata, den Weg verloren zu haben. Doch nachdem sie ein Stück auf ihrer eigenen Spur zurückgegangen war, erkannte sie, dass der Pfad jenseits einiger Büsche, die ihn überwucherten, weiterführte.
    Schließlich mündete er in einen Wiesengrund. Ein breiter Bach, unter dessen vereister Oberfläche Wasser murmelte, folgte den Windungen des Tals. Als Donata sich suchend umschaute, erschien es ihr, als ob sich nahe dem Ufer eine Einkerbung im Schnee abzeichnete. Erschöpft vom anstrengenden Marsch durch den Wald, ging sie zum Bach und folgte dem Pfad entlang dem Ufer. Vielleicht erwies sich ihr das Schicksal als gnädig und sie hatte tatsächlich einen Weg gefunden, der vom Wald aus durch den Wiesengrund und bis zu einem Dorf führte.
    Donata verspürte Hunger und wollte den Rest ihres Brotes aus dem Bündel holen. Doch im gleichen Augenblick fiel ihr ein, dass sie am vergangenen Abend einige Bissen gegessen und das Brot nicht wieder in das Bündel gesteckt hatte. Gleichzeitig sah sie, so deutlich, als würde sie wieder im Altarsockel kauern und das Geschehen beobachten, den Mord vor sich. Sah, wie sich das Messer in den Unterleib des Mönches bohrte und dessen Eingeweide zerschnitt, während der Mörder dabei lächelte.
    Ein anderes Bild tauchte aus ihrem Gedächtnis auf, das sie sorgfältig darin verschlossen und das sie schon lange nicht mehr in ihren bösen Träumen heimgesucht hatte. Das Bild eines Säuglings, in dessen zarten Körper ein Schwert stieß. Der Soldat, der diese Waffe geführt hatte, hatte auch gelacht.
    So schnell es ihr der Schnee erlaubte, hastete Donata am Rande des Bachlaufs vorwärts. Währenddessen kämpfte sie gegen die schlimmen Bilder an und mühte sich darum, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Klares Sonnenlicht brachte die Oberfläche des Baches zum Funkeln. Hohe Weiden, von einer dünnen Schneeschicht überpudert, wuchsen nahe bei der Krümmung des Tales. Im Sommer hatten die Bäume längliche, spitze Blätter, die obenauf dunkelgrün und auf der Unterseite von silbriger Farbe waren. Wenn der Wind durch die Weiden fuhr und ihre Äste hob, wirkten sie wie von glitzerndem Metall umsponnen.
    Als Donata die Krümmung des Tales fast erreicht hatte, kam ein Reiter auf sie zu. Sie wandte den Blick von den Weiden ab und schaute zu ihm hin. Der Mann auf dem Pferd war muskulös und kahlköpfig. Sie erkannte ihn sofort. Es war der Mann, der in der Nacht zuvor die Fackel gehalten hatte, der Diener des Mörders. Ihre Blicke trafen sich. Die hellen sandfarbenen Augen des Mannes musterten sie.
    Ihre erste Eingebung war, sich umzudrehen und davonzurennen. Doch das Wissen, dass der Reiter sie sofort einholen und ergreifen würde, hielt sie davon ab. Sie senkte den Kopf und ging langsam und gleichmäßig weiter. Als sie nur noch wenige Schritte von dem Pferd entfernt war, trat sie zur Seite, um es vorbeizulassen. Nun war es auf gleicher Höhe mit ihr, bewegte den Kopf und schnaubte. Sie starrte auf seinen braunen, glänzenden Leib. Gleich war es vorbei … Doch das Tier kam zum Stehen. Beinahe sofort beugte sich der Diener vor, packte Donata an der Schulter und zog sie zu sich heran, bis dicht vor den Sattel.
    »Junge, was treibst du bei dieser Kälte in dieser abgelegenen Gegend? Wo kommst du her?«
    Benommen hörte Donata, dass der Diener Latein sprach wie sein Herr, allerdings in Wortwahl und Klang mit einer stärkeren südländischen Färbung als dieser.

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