Die Chorknaben
Minuten nach dem Appell raste 7-A-29 in Richtung Sixth Street los, wurde aber von zehn anderen Nachtstreifenpolizisten um Wagenlängen geschlagen, die sich bereits über die Bar verteilt hatten, um auf die Bardamen ein Auge zu werfen.
5
7-A-85: Roscoe Rules und Dean Pratt
D ie meisten Singstunden wurden vermutlich von Harold Bloomguard von 7-A-29 einberaumt. Zu den wenigsten rief 7-A-85 auf. Roscoe Rules schien sie offensichtlich nicht so häufig zu brauchen.
Fünf Monate vor dem Singstundenmord wurde jedoch von Dean Pratt von 7-A-85 äußerst dringend eine Singstunde angesetzt. Das war in der Nacht, in der Roscoe Rules sich schon zu Lebzeiten als eine Art lebender Legende einen Namen machte. Den Spitznamen Roscoe hatte Henry Rules während eines anderen mitternächtlichen Chorknabentreffens von Harold Bloomguard bekommen, als Rules, der gerade im Fernsehen einen Bogartfilm gesehen hatte, den anderen von einer Verhaftung erzählte: »Dieses blöde schwarze Arschloch machte ganz den Eindruck, als würde er jeden Moment durchdrehen; also habe ich ihm mit meinem Roscoe einen über die Rübe gezogen.« Für einen Augenblick sah Harold Bloomguard in seinem Suff ungläubig seinen Partner Sam Niles an. Rules hatte weder ›Knarre‹ noch ›Kanone‹ noch ›Achtunddreißiger‹ gesagt, sondern schlichtweg ›Roscoe‹.
»Eidechsenscheiße! Habt ihr das gehört?« platzte Bloomguard heraus. »Roscoe! Roscoe! Habt ihr das gehört?«
»Du meinst wohl deine Sprühdose, was Rules?« röhrte Sam Niles los, der ebenfalls schon ordentlich getankt hatte und mindestens zwei Liter Wein im Wert von etwa drei Dollar verschüttete, als er sich vor Lachen auf seiner Decke im Gras kullerte.
Von diesem Zeitpunkt an hieß Henry Rules bei den Chorknaben nur noch ›Roscoe‹ Rules. Der einzige, der ihn ab und zu noch Henry nannte, war sein Partner Dean Pratt, der etwas Angst vor ihm hatte.
Roscoe Rules war seit fünf Jahren bei der Polizei. Er hatte lange Arme und sehnige Hände. Er war groß, zäh und kräftig. Und fies. Niemand, der so fies daherredete wie Roscoe Rules, hätte auf dieser Erde neunundzwanzig Jahre überleben können, ohne wirklich fies zu sein. Seine Eltern hatten eine kleine Farm in Idaho gehabt, siedelten dann aber ins San Joaquin Valley in Kalifornien über, wo beide noch in relativ jungen Jahren starben.
»Roscoe Rules hat in den Duschen von Auschwitz die Handtücher verteilt«, behaupteten die Polizisten.
»Roscoe Rules wurde nicht einmal in die Manson-Familie aufgenommen – zu fies.«
»Roscoe Rules füttert streunende junge Hunde und Katzen – an seine Piranhas.« Und so weiter.
Wenn es etwas gab, das Roscoe Rules sich gewünscht hätte, nachdem er von der Welt soviel mitbekommen hatte, wie er sehen wollte, dann war es ein Wort, so schlimm wie ›Nigger‹, das sich als Bezeichnung für die gesamte Menschheit geeignet hätte. Da seine Fantasie nicht sonderlich ausgeprägt war, gab er sich in diesem Punkt schließlich mit ›Arschloch‹ zufrieden. Allerdings mußte er feststellen, daß dies auch bei den meisten anderen Polizisten von Los Angeles und ganz Amerika der gängigste Begriff war.
Calvin Potts, der einzige schwarze Chorknabe, stimmte Roscoe aus ganzem Herzen zu, als ihm dieser während einer nächtlichen Singstunde in seinem Suff dieses Problem gestand. »Das ist das einzige, was ich an dir mag, Roscoe«, meinte Calvin. »Du haßt nicht nur Schwarze. Du haßt alle. Sogar noch mehr als ich. Ohne Vorurteile und Parteilichkeit.«
»Dann sag mir doch ein Wort«, lallte Roscoe, während ihm die Kotze schon halb im Hals steckte. Er sah sich nach Harold Bloomguard um, der jedem den Hals umgedreht hätte, der seinen geliebten MacArthur-Park-Enten etwas zuleide getan hätte. »Sag mir doch ein Wort«, wiederholte Roscoe und warf linkisch einen zackigen Steinbrocken nach einer flaumigen kleinen Ente, die ganz nah an ihnen vorüberschwamm. Das arme Tier quakte verschreckt auf und flüchtete sich unter die Fittiche seiner Mutter.
Roscoe Rules zuliebe spielten nun also alle das gewohnte Spiel mit.
»Wie war's mit Pfurzschnüffler?«
»Nicht mies genug.«
»Schleimsäcke.«
»Das ist langsam auch abgedroschen.«
»Popelfresser.«
»Ach was.«
»Schlabberschleimer.«
»Zu lange.«
»Hämorrhoiden.«
»Das sagt doch jeder.«
»Hodensäcke?«
»Nicht schlecht, aber zu lang.«
»Dann einfach Säcke«, warf Willie Wright ein, der inzwischen betrunken genug war, solch unanständige Worte
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