Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn
ob ich je ein Zuhause hatte.«
Sie hatte nicht erwartet, Jibb vor dem nächsten Tag wiederzusehen, aber später an diesem Nachmittag, als sie an der Westseite des Palasts durch den Garten schlenderte, kam der General auf sie zu, und auf seinem runden Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck.
»Was ist denn, Jibb?«
Er blieb vor ihr stehen und sah sie stirnrunzelnd an. »Ich weiß nicht, wie ich das am besten ausdrücken soll.« Er holte tief Luft, dann sagte er: »Ich glaube, ich weiß, warum Orris sich so lange nicht mit dir in Verbindung gesetzt hat.«
Ihr Mund wurde trocken, und sie musste sich tatsächlich daran erinnern zu atmen. »Warum?«
Zur Antwort drehte der General sich um und zeigte auf den Eingang des Gartens.
Dort, gerahmt vom Marmoreingang, stand der Magier, das blonde Haar zurückgebunden, wie sie es in Erinnerung hatte, und mit einem wunderschönen weißen Falken auf der Schulter.
Am liebsten wäre sie auf ihn zugerannt und hätte ihn umarmt. Aber sie hatte Angst, auch nur einen Schritt zu machen. Sie sah ihn lediglich an, und er erwiderte ihren Blick.
»Ich lass euch beide allein«, sagte der General leise. »Danke, Jibb«, flüsterte sie.
»Melyor.«
Sie riss ihren Blick von Orris los und sah ihn an.
»Ich freue mich für dich. Wirklich.«
Sie lächelte und spürte eine einzelne Träne auf ihrer Wange. »Und ich liebe dich dafür.«
Auch Jibb lächelte. Dann drehte er sich um und verließ den Garten.
Melyor wandte sich wieder Orris zu und holte tief Luft. »Ich hatte mich schon gefragt, was aus dir geworden ist«, sagte sie. Es fühlte sich seltsam an, wieder Tobyn mir zu sprechen. Sie hatte seit Jahren Briefe in der Sprache des Magiers geschrieben, aber sie hatte sie nicht mehr gesprochen, seit sie sich vor acht Jahren am Rand des südlichen Walds auf der Landenge von Orris verabschiedet hatte.
Er begann langsam auf sie zuzugehen, als wäre er unsicher. »Es tut mir Leid, dass ich nicht mehr geschrieben habe. Es kommen nur wenige Kaufleute zur Landenge, besonders im Winter und im Vorfrühling. Aber ich habe geschrieben. Ich kann dir die Briefe zeigen.«
»Du bist zu Fuß gegangen? Du hättest auf einem Handelsschiff kommen können.«
»Tatsächlich bin ich geritten.« Er grinste verlegen. »Ich komme besser auf einem Pferd zurecht als auf See.« Sie starrte ihn an. »Du hast ein Pferd mit ins Nal gebracht?« »Ich habe es am Ende der Landenge freigelassen, kurz vor dem Wald. Es wird dort sehr glücklich sein.«
Er blieb direkt vor ihr stehen.
»Ich hätte nie geglaubt, dass ich dich hier wiedersehen würde«, flüsterte sie.
»Ich hätte nie geglaubt, dass ich zurückkehren würde.« Mit einem letzten Schritt vorwärts nahm er sie in die Arme und küsste sie. Melyor hatte wieder und wieder von diesem Augenblick geträumt und immer wieder gehofft, dass das Bild ein einziges Mal das Gewicht einer Vision haben würde. Sie erwiderte den Kuss mit aller Leidenschaft, die seit so vielen Jahren in ihr gebrannt hatte.
Nach einiger Zeit bemerkte sie, dass Orris' Falke, der durch ihre Umarmung gezwungen worden war, von der Schulter des Magiers aufzufliegen, über ihnen kreiste und sich lauthals beschwerte.
Sie trat einen Schritt zurück und sah Orris in die Augen. »Ich glaube, dein Vogel mag mich nicht besonders.« »Sie wird sich schon an dich gewöhnen.«
»Heißt das, dass du bei mir bleiben willst?«
Er küsste sie abermals. »Ich bin hier, Melyor. Ich habe beinahe ein halbes Jahr damit verbracht, die Landenge zu durchqueren. Sagt dir das nicht genug?«
Selbstverständlich war es so, aber sie hatte beinahe Angst, es zu glauben. »Aber warum hast du Tobyn-Ser verlassen? Ich hätte das niemals erwartet.«
Er schüttelte den Kopf und sah sie traurig an. »Die Dinge dort verändern sich.« Er lächelte ironisch. »Und ich komme nicht gut mit Veränderungen zurecht.«
»Hierher zu kommen ist keine Veränderung?«
»Das ist anders. Ich bin einundzwanzig Jahre lang Magier und Ordensmitglied gewesen. Und schon zehn Jahre zuvor habe ich davon geträumt, diesen Umhang zu tragen. Nachdem ich Tobyn-Ser zum ersten Mal verlassen habe - tatsächlich sogar, weil ich es verlassen habe -, hat sich alles an der Magie verändert. Ich kann dir nicht einmal annähernd schildern, wie es war zu sehen, dass der Orden sich gespalten hatte, und zu wissen, dass es meine Schuld war. Aber selbst dann blieb die Magie ihrem Wesen nach dieselbe. Jetzt allerdings ...« Er schüttelte erneut den Kopf. »Ohne den
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