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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Gedächtnis.
    »Ihre Hoheit ist durstig«, durchbrach eine herrische Männerstimme das allgemeine Schweigen. Die Dorfbewohner blieben in ihrer furchtsamen Starre gefangen. Marie deutete zaghaft auf den Eimer an ihrer Seite.
    Sie sah, wie der Sprecher sich aus dem Sattel schwang und auf sie zukam. Sein Gesicht war faltig und hart wie abgenutztes Leder. Ein Schwert hing an seinem Gürtel, bewegte sich im Rhythmus seiner Schritte. Er hielt ihr einen Becher entgegen.

    »Das ist zwar nur fades Brunnenwasser, aber wir haben nicht viel Zeit. Sonst würde ich den Tölpeln hier Manieren beibringen, damit sie schleunigst Wein besorgen. Jetzt mach schon, Mädchen! Und wenn du den Becher zerbrichst, dann bist du tot.«
    Marie gehorchte, als sei sie eines von Guillaumes dressierten Tieren. Obwohl es ihr nun leidtat um das mühsam erkämpfte Wasser, von dem ohnehin nicht viel übrig war, senkte sie den Behälter in ihren Eimer, zog ihn gefüllt wieder heraus und bemerkte erst dann, dass er aus einem Material gemacht war, das den Hintergrund nicht verbarg, sondern milchig hindurchschimmern ließ. Wieder meinte sie, sich in einer von Guillaumes Geschichten zu befinden, und dieses Gefühl der Unwirklichkeit gab ihr den Mut, einfach mit dem Becher in der Hand auf die Unbekannte zuzugehen.
    Aus der Nähe betrachtet schien die Fremde noch zauberhafter. Ihre Haut war weiß wie frisch gefallener Schnee, die blaugrauen Augen erinnerten Marie an wolkenlosen Himmel im Morgengrauen. Sie streifte den Handschuh ab, und eine schmale, mit bunten Ringen geschmückte Hand streckte sich Marie entgegen, um das Wasser in Empfang zu nehmen.
    »Danke, mein Kind. Wie ist dein Name?«
    Marie wurde leicht schwindelig. Vielleicht lag es an dem süßen, schweren Duft, der von der Dame ausging. Dennoch klang ihre Stimme sicher und gefasst, als sie sich vorstellte.
    »Du bist ein nettes Mädchen, kleine Marie. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder. Es würde mich freuen«, erwiderte die Dame mit einem Lächeln, bevor sie zusammen mit den anderen Reitern auf der Straße Richtung Paris verschwand.
    Marie starrte stumm hinterher. Die Welt schien sich zu verdüstern, sobald der Horizont die berittenen Gestalten
verschluckt hatte. Sie bemerkte kaum, wie ihr Freund Pierre sich zu ihr gesellte.
    »Weißt du überhaupt, mit wem du da gesprochen hast?«, riss er sie aus ihren Träumereien.
    »Mein Vater sagt, das war die Königin Aliénor«, meinte er triumphierend. »In Paris wird zurzeit über die Auflösung ihrer Ehe mit dem König verhandelt. Weiß der Teufel, warum sie hier entlanggeritten kam, nur von ein paar Rittern begleitet.«
    Marie war der Grund für den Ausritt völlig gleich. Sie sah das vornehme, schmale Gesicht immer noch vor sich und ahnte, dass sie es nicht so schnell vergessen würde.

1.Buch
    Murt ert la la dame en grant tristur,
Od lermes, od suspir e plur;
Da beuté pert en teu mesure
Cume cele ki n’en ad cure.
De sei meïsme mieuz vousist
Que mort hastive la preisist.
    Die Dame lebte in tiefer Trauer, in Tränen und Seufzern. Sie verlor dadurch ihre Schönheit, die ihr gleichgültig geworden war; sie hatte nur noch einen Wunsch: durch einen schnellen Tod erlöst zu werden.
    Maleeit seient mi parent
E li autre communalement
Ki a cest gelus me donerent
E de sun cors me marïerent!
    Verflucht seien meine Eltern und alle, die mich diesem eifersüchtigen Mann übergaben und mich ihn heiraten ließen!
    (Aus dem Lai »Yonec« der Marie de France)

1. Kapitel
    D er Galgen war in der Mitte des Marktplatzes aufgestellt worden. Trommelschläge trieben die letzten der Einwohner heran, die bisher noch nichts von dem Ereignis gewusst hatten. Hinrichtungen fanden nicht oft statt, denn der Vogt verhielt sich im Allgemeinen milde, doch im Falle einer Gattenmörderin konnte er keine Gnade walten lassen.
    Die Verurteilte hing wie ein schwerer, lebloser Sack im Griff der Büttel, die sie heranschleppten. Ihr ratloser Blick streifte die Anwesenden nur kurz und drückte nichts weiter als Staunen aus. Noch nie in ihrem Leben hatte Adèle derartige Aufmerksamkeit erhalten wie in dem Augenblick ihres Todes. Sie schien nicht zu begreifen, woran dies liegen konnte, und es war durchaus möglich, dass sie gar nichts von dem verstand, was sich hier gerade abspielte. Die rechte Hälfte ihres Gesichts wies blaugrüne Schwellungen auf, die vielleicht von den Bütteln stammten oder auch die letzte Hinterlassenschaft jenes Mannes waren, den sie erschlagen hatte.

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