Die Drenai-Saga 2 - Der Schattenprinz
seine Augen.
Sie stellte fest, daß sie von einem wunderschönen Violett waren und schräg standen, wie die Augen der Menschen von den Nadirstämmen im Norden. Sein Gesicht war kantig und beinahe schön zu nennen, abgesehen von dem grimmigen Zug um den Mund.
Renya wollte ihn mit Worten aufhalten, ihm sagen, daß sie ihn töten würde, wenn er noch näher käme. Aber sie konnte nicht. Den Mann umhüllte eine Aura der Macht – eine Autorität, die Renya keine andere Wahl ließ, als zu reagieren statt zu handeln.
Und dann war er an ihr vorbei und beugte sich über Aulin.
»Laß ihn in Ruhe!« rief Renya. Tenaka drehte sich zu ihr um.
»Im meinem Zimmer brennt ein Feuer. Hier entlang, auf der rechten Seite«, sagte er ruhig. »Ich werde ihn dorthin tragen.« Geschmeidig hob er den alten Mann hoch und trug ihn in seine Unterkunft, wo er ihn auf das schmale Bett legte. Dann zog er dem Alten Mantel und Stiefel aus und begann, ihm sanft die Waden zu massieren, deren Haut blau und fleckig war. Er drehte sich um und warf dem Mädchen eine Decke zu. »Wärm sie am Feuer«, bat er und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Nach einer Weile horchte er auf die Atmung des Mannes – sie war tief und gleichmäßig.
»Schläft er?« fragte sie.
»Ja.«
»Wird er es überstehen?«
»Wer kann das sagen?« entgegnete Tenaka, stand auf und streckte sich.
»Danke, daß du ihm geholfen hast.«
»Danke, daß du mich nicht getötet hast«, erwiderte er.
»Was tust du hier?«
»Ich sitze an meinem Feuer und warte darauf, daß der Sturm nachläßt. Möchtest du etwas essen?«
Gemeinsam saßen sie vor dem Feuer und teilten sich getrocknetes Fleisch und Hartzwieback. Sie sprachen wenig. Tenaka war nicht besonders neugierig, und Renya spürte intuitiv, daß er keine Lust hatte zu reden. Doch das Schweigen war keineswegs unbehaglich. Sie fühlte sich ruhig und friedlich, zum erstenmal seit Wochen, und selbst die Bedrohung durch die Meuchelmörder wirkte weniger real. Es schien, als würde die Kaserne durch Magie geschützt – unsichtbar, aber unendlich mächtig.
Tenaka lehnte sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete das Mädchen, das in die Flammen starrte. Ihr Gesicht war anziehend, oval mit hohen Wangenknochen und großen Augen, die so dunkel waren, daß die Pupillen mit der Iris verschmolzen. Sie machte den Eindruck von Kraft, unter der sich Verletzlichkeit verbarg, als ob geheime Ängste oder eine verborgene Schwäche das Mädchen quälten. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er sich zu ihr hingezogen gefühlt. Doch wenn er jetzt in sich hineinsah, konnte er keine Gefühle entdecken, kein Begehren … kein Leben, wie er erstaunt feststellte.
»Wir werden gejagt!« sagte sie schließlich.
»Ich weiß.«
»Woher willst du das wissen?«
Er zuckte die Achseln und legte Holz nach. »Ihr seid auf einer Straße, die nirgends hinführt, ohne Pferde und Verpflegung. Und doch sind eure Kleider teuer und euer Benehmen kultiviert. Also lauft ihr vor irgendetwas oder irgendjemandem davon, und daraus folgt, daß man hinter euch her ist.«
»Stört dich das?« fragte sie.
»Warum sollte es?«
»Wenn du mit uns zusammen erwischt wirst, mußt du auch sterben.«
»Dann werde ich eben nicht mit euch zusammen erwischt.«
»Soll ich dir sagen, warum man uns jagt?« fragte sie.
»Nein. Das ist euer Leben. Unsere Wege haben sich hier gekreuzt, aber wir gehen einem unterschiedlichen Schicksal entgegen. Es besteht keine Notwendigkeit, mehr über den anderen zu erfahren.«
»Warum? Hast du Angst, du würdest dich ängstigen, falls du es wüßtest?«
Er dachte sorgfältig über die Frage nach und sah den Zorn in ihren Augen. »Kann sein. Aber vor allem fürchte ich die Schwäche, die sich daraus ergibt, wenn man Anteil nimmt. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, und ich kann nicht noch andere Probleme gebrauchen. Nein, das stimmt nicht – ich will keine anderen Probleme.«
»Ist das nicht selbstsüchtig?«
»Natürlich. Aber es hilft zu überleben.«
»Und ist das so wichtig?« fuhr sie ihn an.
»Das muß es wohl sein, sonst würdet ihr nicht davonlaufen.«
»Es ist wichtig für ihn«, sagte sie und deutete auf den alten Mann im Bett. »Nicht für mich.«
»Vor dem Tod kann er nicht davonlaufen«, sagte Tenaka leise. »Auch wenn es Mystiker gibt, die behaupten, daß es ein Paradies nach dem Tode gibt.«
»Er glaubt daran«, sagte sie lächelnd. »Und genau davor hat er Angst.«
Tenaka schüttelte langsam den Kopf; dann rieb er sich
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