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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianka Minte-König
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Schlaf die Nahrung gut.«
    Gertrud blieb skeptisch, aber da alles, was wir nicht aßen, ihrer Familie zugutekam, war ihr der eigene Bauch naturgemäß näher als der unsere und sie gab hinfort Ruhe.
    Doch als sie ging, konnte sie sich nicht verkneifen zufragen, ob mein jugendfrisches und faltenfreies Aussehen wohl auch mit dieser Form verknappter Nahrungsaufnahme zu tun habe. »Meinst du, ich sollte vielleicht auch ein wenig kürzertreten?«
    Ich lachte, musste jedoch gut argumentieren, um sie nicht wegen meiner Alterslosigkeit misstrauisch zu machen.
    »Red keinen Unsinn, Gertrud! Ich bin viel jünger als du und habe keine drei Söhne zur Welt gebracht und großgezogen. Woher also soll ich Falten haben bei meinem unangestrengten Leben? Warte ab, wie es in ein paar Jahren wird, wenn Amadeus erst zu uns zieht und wir die Kinderschar auf Blankensee vergrößern werden.«
    Sie schaute zweifelnd. »Denkst du gar nicht mehr an deinen Ehemann? Den Karolus Utz?«
    Ich schüttelte den Kopf und sagte wider besseres Wissen:
    »Ich fürchte fast, den haben in Afrika die Neger in ihren Suppentopf gesteckt und ich werde ihn wohl bald für tot erklären lassen. Dann bin ich für Amadeus frei.«
    Gertrud lächelte. »Das würde mich sehr für dich freuen.«
    Ach ja, mich hätte es auch gefreut, wenn es so gewesen wäre und ich nicht mehr vor ihm hätte zittern müssen.
    Aber einen Lichtblick gab es.
    Wir erhielten Nachricht über Friedrich. Er lebte und seine baldige Rückkehr nach Berlin wurde Vanderborg in Aussicht gestellt.
    »Natürlich kommt er zu uns nach Blankensee«, sagte ich spontan, »auf dem Lande kann er sich am besten von den Strapazen der Front erholen.« Das sah auch Vanderborg so und deshalb freute ich mich darauf, Friedrich recht bald in Berlin abholen zu können. Wenigstens einer meiner beiden geliebten Männer kehrte also lebend heim zu mir. Was fürein Glück! Aber ich freute mich zu früh, es vergingen weitere lange Wochen und ich musste mich in Geduld üben.

    F riedrich kehrte erst im Dezember 1916 zurück.
    Bei der Schlacht um Verdun war er schwer verwundet worden, als im Fort Douaumont Anfang Mai ein Munitionsdepot in die Luft flog und Hunderte von Todesopfern unter den deutschen Soldaten forderte, die das Fort seit Wochen gegen die anrennenden Franzosen auf Befehl der obersten Heeresleitung halten mussten, obwohl niemand eine strategische Bedeutung darin sah. Friedrich war von Helfern des Roten Kreuzes, das auf deutscher Seite schon sehr gut organisiert war, geborgen worden und hatte dann eine monatelange Irrfahrt durch die verschiedensten Lazarette und Krankenhäuser angetreten, bis er endlich so weit hergestellt war, dass er nach Hause entlassen werden konnte.
    Anfang Dezember erhielt Vanderborg endlich die lang ersehnte Mitteilung über Friedrichs Ankunft in Berlin, und Mathias fuhr mich zum Bahnhof, was freilich eine Tortur war, denn es stürmte derart heftig, dass die Pferde kaum dagegen ankamen. Wir schafften es gerade noch pünktlich mit dem Einrollen des Zuges auf den Bahnsteig.
    Als Friedrich aus dem Wagon stieg, mussten ihn zwei Kameraden führen, denn sein Kopf war fast vollkommen von einem Verband eingehüllt, der auch über Nase und Augen ging, sodass er nichts sehen konnte. Mir stiegen bei seinem Anblick die Tränen hoch, und auch die nächsten Tage musste ich jedes Mal weinen, wenn ich ihn nur ansah. Was war bloß aus Estelles schönem und lustigem Bruder geworden? Ein verstörendes Abbild des Krieges, der unserneut seine grausame Grimasse zeigte, von der ich glaubte, dass ich sie nie wieder würde sehen müssen. Doch nun brachte mir Friedrich seine Gräuel in seinem Frontgepäck mit nach Blankensee, und unsere Idylle brach wie das dünne Eis unter den Schlittschuhen von Georg Heym und wir alle wurden in den schwarzen Strudel des Verderbens gezogen.
    Blind und von Schmerzen geplagt war Friedrich völlig hilflos und so lag er Stunde um Stunde reglos und verstörend für jeden auf der Chaiselongue am Kamin und schwieg. Sooft ich konnte, setzte ich mich zu ihm, um ihm Nähe zu geben und ihn etwas aufzuheitern. Aber stets musste ich weinen, und auch wenn er meine Verzweiflung nicht sah, so spürte er doch die Feuchtigkeit auf meinen Wangen, wenn er mit seinen langen, schlanken Fingern zart tastend über mein Gesicht fuhr.
    »Weinst du schon wieder?«, fragte er dann meist, und ich versuchte zu lachen und erzählte ihm, dass es der Tau der Nacht sei, der auf meiner Haut läge, woraufhin er mich

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