Die Einsamkeit des Chamäleons
Nase.
âºDas Geld werden wir behaltenâ¹, sagte Rebekka, âºund ich weià auch schon, was wir damit machen werden.â¹
Ihre Mutter schaute sie nur mit glasigen Augen an. âºIn dieser Sache gibt es kein wir . Du wirst. Nicht ich. Mach damit, was du willst. Ich lebe. Frei von diesem Dreck. Prost!â¹
Kapitel 1
Vielleicht war es ein Waschbär gewesen bei den Mülltonnen an der Hauswand. Vielleicht ein Marder unter einem der geparkten Autos. Vielleicht aber auch ein Tritt, der unbeabsichtigt laut geraten war auf den dürren Zweigen, die der Winter auf der Wiese zurück gelassen hatte wie Spielzeug, dessen er überdrüssig war. Manchmal gingen Biber nachts hier um, Frettchen und Wildschweine. In einem Lied hieà es, in Brandenburg würden wieder Wölfe leben.
Rebekka griff zur Taschenlampe, die neben ihrem Bett lag und die Dimensionen eines Fleischklopfers hatte. Ein Fenster war gekippt. Sie öffnete es ganz, lehnte sich hinaus, aber da waren nur der Zaun und dahinter der Acker und weder ein Waschbär noch ein Marder zu sehen. Sie öffnete das Fenster, das nach vorn auf die StraÃe führte. Sogar Ratten hätte sie in Kauf genommen oder einen verirrten Frischling. Aber nichts war schlimmer, als nichts zu entdecken, nur den gewohnten Ausblick zu haben auf einen geparkten Wartburg und einen Gartenzaun mit Buchsbäumen dahinter.
Rebekka war ein ausgeglichener Mensch mit einem gesunden Gespür für Gefahr in all ihren Variationen. Und hier drauÃen war sie nicht in Gefahr. Es war vergeudete Kraft, sich auch nur einen Moment zu ängstigen. Angst war ein Gefühl, das sie ausbremsen und ihr wertvolle Zeit stehlen würde, die sie so dringend zur Erholung brauchte. Also durfte sie keine Angst haben. Es war der Marder. Bresecke wird sich freuen.
Rebekka schloss das Fenster. Es wurde allmählich hell.
Wie der Rest der Welt hatte nun auch Rebekkas Lieblingsradiosender die Esoterik entdeckt. Die Vielfalt an Radioempfang war limitiert auf dem Land, und auch wenn sie ein Internetjunkie war, hätte Rebekka nie auf eine Radiostation zurückgegriffen, die sie nur im Googl e-Fenster finden konnte. Also schraubte sie jeden Tag aufs Neue an dem Knopf der Sendersuche herum und blieb dann doch wieder dort hängen, wo es an jenem Morgen hieÃ:
Wenn Sie weniger Elektrosmog in Ihrer unmittelbaren Umgebung haben wollen, dann schlieÃen Sie weniger Geräte an!
Dieser Tag würde ein sonniger werden.
Rebekka kroch zurück ins Bett. Die geblümte Bettwäsche roch nach frischer Bergluft, seit sie einmal pro Woche ein Kissenparfüm mit tatsächlich diesem Duft ansprühte. Sie streckte sich und spürte, wie die Schwere aus ihren Gliedern wich. Solange sie noch nach jedem Lauf Muskelkater hatte, war sie nicht leistungsfähig genug, also würde sie noch mehr trainieren müssen. Sie wollte fit sein, um weglaufen zu können, wenn es notwendig war.
Ihre Gedanken kreisten um einen unheimlichen Verdacht. Es musste um die 20 Todesfälle gegeben haben in dieser Berliner Recyclingfirma. Ungefähr einen im Monat, wenn Rebekka die Traueranzeigen mit immer demselben Logo in ihrer Berliner Zeitung richtig deutete. Sie konnte nicht wieder einschlafen. Es war ihr unerklärlich, wie so etwas möglich sein konnte, ohne dass es jemanden kümmerte. In dieser Stadt wurde jedes Falschparken geahndet, und Schwarzarbeiter wurden noch auf der Baustelle festgenommen. Aber 20 Mitarbeiter ein und derselben Firma konnten in nur zwei Jahren wegsterben, ohne dass wenigstens ein Angehöriger Alarm schlug.
Es gab einen weiteren Grund, weshalb Rebekka nicht wieder einschlafen konnte. Da war diese Sache, eine Ansammlung von Zellen, die stoffwechselten, ein Haufen aus Urin und Kot und unverdauter Nahrung, frisch gehalten durch Atmung und etwa fünf bis sieben Liter Blut, durchsetzt von haufenweise perversen Gedanken, das Ganze umspannt von etwa zwei Quadratmetern Fläche aus Haut. Diese Sache saà in einer schmalen grauen Gefängniszelle in Paris. Diese Sache war das Böse. Und Rebekka wartete nur auf den Tag, an dem es herausgelassen wurde wie der Geist aus der Flasche.
Kapitel 2
Auf der StraÃenseite gegenüber dem Hackendahl in der FriedrichstraÃe klebten zwei Männer ein schaufenstergroÃes Plakat von Andrew Cascones Moon-series auf das Schaufenster eines leerstehenden Geschäftes. Rebekka mühte sich, das Logo der Kunstsammlung auf
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