Infinitas 3 - Engel der Morgenstille (German Edition)
Prolog
Schneeweiße Federn stoben wirr durch die Luft, dass man glauben mochte, es würde mitten im August schneien. Erst der laute Flügelschlag, der die Stille durchschnitt, ließ erkennen, woher diese stammten.
Der Erzengel kam mit verschränkten Armen neben der Frau zum Stehen und stemmte sich breitbeinig auf den Boden. Kopfschüttelnd betrachtet er sie. Sie war so ein wunderschöner Engel und doch dumm wie ein kleines Kind. Hatte er nicht all seine Engel gewarnt? Sie hätte se inen Rat befolgen sollen, es hätte sie vor diesem Unglück bewahrt. Nun klaffte eine große Wunde an ihrem Hals, das Erdreich war getränkt von ihrem Blut. Ihre wundervollen Flügel hingen leblos herab, wie das gebrochene Gefieder eines verletzten Vogels. Die früher mal weißen Federn waren dunkelrot mit ihrem Blut beschmiert. Der Gestank des Vampirs haftete immer noch an ihr, obwohl er sich wohl schon vor Stunden aus dem Staub gemacht hatte.
Ungläubig schüttelte der Erzengel den Kopf. Wie hatte die Frau sich nur mit einem Vampir einlassen können? Hatte er nicht eindringlich vor den Vampiren gewarnt? Diese Kreat uren, die gierig nach Engelsblut waren, das so rein und köstlich war, dass keiner von ihnen widerstehen konnte, davon zu kosten. Kaum einer dieser Blutsauger hatte sich so gut im Griff, dass er ein Himmelswesen am Leben ließ, nachdem er von dessen köstlichem Saft getrunken hatte. Wie eine Droge machte es sie süchtig, nach mehr und immer mehr.
Mit stolzen Schritten umrundete er ihren leblosen Körper. Sie stand an der Schwelle zum Tode, doch noch war ein Hauch Leben in ihr. Er hockte sich hin, beugte sich tief über sie und horchte auf ihren Herzschlag.
Der Atem ging flach, noch nicht alles Blut war aus ihrem Körper gewichen. Er sollte sie töten, um ihr Leiden zu verkürzen, doch etwas hielt ihn zurück. Sie war schön, so schön, wie nur ein Engel es war. Es wäre eine Schande, den Menschen diese Schönheit zu rauben.
Trotzdem rang der Erzengel mit sich. Wer seinen Anwe isungen nicht Folge leistete, gehörte bestraft, so wollte es das Gesetz, doch ihre Anmut und Schönheit rührte etwas in ihm, das nur mit ein Wort zu beschreiben war: Gnade.
Er berührte ihren Hals mit seinen Fingerspitzen, was ein Licht aufflammen ließ, heller als ein Sonnenstrahl, und pure Energie begann zu fließen. Die Blutung stoppte und die Wunde heilte, schnell, wie durch ein Wunder. Bald würde sie nicht mehr sichtbar sein. Doch dass sie sich mit einem Vampir eingelassen hatte, konnte er ihr nicht durc hgehen lassen, soweit ging sein Mitleid dann doch nicht.
Er richtete sich zu seiner vollen imposanten Größe auf und mit unermesslicher Kraft riss er ihr die Flügel aus dem Rücken. Federn stoben durcheinander, landeten in den blut igen Pfützen auf der Erde. Ihr Gesicht verzog sich trotz ihrer Bewusstlosigkeit zu einem lautlosen Schmerzensschrei.
De r Erzengel stoppte zwar die Blutung an ihren Schultern, doch zwei tiefe Narben würden sie für den Rest ihres Lebens daran erinnern, welchen Verrat sie begangen hatte – dass sie ein gefallener Engel war. Dass sie den Himmel und ihre Flügel für einen Vampir geopfert hatte. Und es würde ein langes Leben sein, denn er nahm ihr nicht ihre Unsterblichkeit und ihre Gabe, nein, er nahm ihr nur das Privileg, weiterhin ein Engel auf Erden zu sein.
Riff in der Brandung
1. Kapitel
Der schnittige kleine rote Sportwagen surrte leise über die Straße und brachte seine Insassen in kürzester Zeit Richtung Saint-Denis, einem Vorort von Paris.
Dr. Madison Balisari war vor ungefähr vier Monaten hierher gezogen, nachdem sie die Stelle als Chirurgin im Curie Institute angenommen hatte. Ihre Zweizimmerwohnung lag in der ersten Etage eines vierstöckigen Wohnhauses. Die Fassade aus Sandstein war mit den Jahren ergraut und verwittert, doch hinter der Wohnungstür lag ein kleines Paradies.
Ihr Blick fiel auf das seltsam anmutende Geschöpf auf dem Beifahrersitz, das in dem Sportwagen aufgrund se iner riesigen Körpergröße fehl am Platz wirkte. Es beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Madison mit sicherer Hand das Auto lenkte und nach einiger Zeit vor dem Wohnhaus geschickt in eine kleine Lücke einparkte.
Omar Rayhan ibn Ziyad folgte Madison wortlos und stand anschließend unschlüssig im Flur der gemütlich wirkenden Zweizimmerwohnung.
»Bitte, treten Sie ruhig näher. Es gibt nur das Schlafzimmer und das Wohnzimmer mit offener Küche. Sie können sich also nicht verlaufen. Wenn Sie duschen
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