Die Elfen 04 - Die Elfenkönigin
war fremd für mich, der ich aus einem Land kam, das vom Weiß des Schnees beherrscht wird. Hier wurde mein Auge bei jedem Herzschlag von neuen, nie gesehenen Farben bestürmt. Alle Sinne wurden belagert! Die Völkerscharen Albenmarks versammeln sich zum Feste, und sie brachten ihre Düfte mit, von Fladenbroten, über einer Glut aus Pferdeäpfeln gebacken, bis hin zu frisch gekochten Krabben, Reisbrei, Thymian, Safran und roten Pfeffer. Dazu der Duft verfaulender Mangos aus den Gärten und der Odem des Dschungels, der die Stadt einschloss. Und inmitten von all dem: Emerelle. Stets ist sie es, die zur Königin gewählt wird. Und nie verläuft die Wahl ohne verborgene Kämpfe. So oft habe ich dem Fest der Lichter inzwischen beigewohnt. Und nicht einmal verging der Tag danach ohne Leichenfunde. Stumme Zeugen der Intrigen um den Thron. Zu meinen Pflichten gehörte es später, sie beerdigen zu lassen und alle Fragen zu ersticken.
Doch davon, was kommen sollte, ahnte ich nichts auf meinem ersten Fest der Lichter. Ich gehörte zu den Gästen in Emerelles Palast. Und ich sah zu, als sie in einem Pavillon, hoch im Geäst des alten Lotosblütenbaums, ihr Schmetterlingsgewand anlegte. Ein Kleid der schillernden Farben aus unzähligen lebenden Schmetterlingen, die sich auf der Herrscherin niederließen. Dann ließ sich Emerelle auf einer Sänfte, die von fünfzig Kentauren getragen wurde, zum Hafen bringen, wo inmitten eines Meeres aus Schiffsmasten jene Prunkbarkasse lag, auf der die Königswahl stattfand. Majestätisch und von Jubel bestürmt, stand sie über den Massen auf ihrer Sänfte. Sie wurde mit Blumen beworfen und kostbarem Geschmeide. Und man hob Kinder zu ihr empor, damit sie ihnen über die Köpfe streichen konnte, denn es bringt Glück, von Emerelle berührt zu werden.
An jenem Tag entschied ich, künftig meiner Retterin zu dienen. Und über die Jahre stieg ich auf zu ihrem Hofmeister. Ich war bei ihr in Tagen von Ruhm und Leid. War an ihrer Seite, als sie an der Spitze ihrer Ritter die Höhlenfestung Mordstein erstürmte, reiste in ferne Städte als ihr Gesandter und wurde tief in die Intrigen der Krönungsfeste verstrickt.
Manche nennen sie die Königin der tausend Gesichter. Sie konnte die strahlende, gütige Herrscherin sein. Sie war Kriegerin und Zauberin. Sie war die höchste Richterin. Und sie war einsam. Seit sie die Krone nahm, hatte sie sich keinen Gefährten mehr erwählt. Die Sorge um Albenmark bestimmte ihr Leben. Sie opferte sich im Kampf um unser aller Zukunft. Wenn sie nachts allein im Thronsaal über die Silberschale gebeugt stand, die ihr die Zukunft zu zeigen vermochte, dann zeichnete Schrecken ihr Gesicht. Ich weiß nicht, was sie dort sah. Aber sie kämpfte dagegen an, an jedem Tag ihrer Herrschaft.
Sie haben ihr Werk zerstört, die Trolle! Vor siebenundzwanzig Jahren und sechs Monden kehrten sie zurück. Sie waren in die Welt der Menschen verbannt gewesen, doch fanden sie einen Weg zurück. Sie überfielen Vahan Calyd während des Festes der Lichter. Und sie begannen damit, all das Schöne auf der Welt zu zerstören. Emerelle musste flüchten, aber sie stemmte sich gegen die Heerscharen ihrer Feinde. Manchmal nur von Ollowain, ihrem Schwertmeister, beschützt. Als sie auch ihn verlor, begann der Niedergang. Ich weiß nicht, was genau die Trolle ihm angetan haben. Er war bei ihnen an dem Tag, an dem Emerelles Herrschaft endete. Er schien nicht bei Sinnen zu sein! Es heißt, sie hätten Ollowains Verstand getötet, aber seinen Körper erhalten. Sie haben ihn gezwungen, auf der Shalyn Falah, der weißen Brücke, zum Duell gegen Emerelle anzutreten. Das war der Tag, an dem ihr das Herz brach. Sie legte Schwert und Krone nieder, statt gegen den Mann zu kämpfen, dem schon lange heimlich ihr Herz gehört hatte. So wurde der Troll Gilmarak zum Herrscher über Albenmark. Die Seele eines Elfen ist unsterblich, bis sie letztlich ins Mondlicht geht. Wenn wir wiedergeboren werden, dann ist unsere Seele alt, aber die Erinnerung an unsere früheren Leben ist verloren. So sind wir frei.
Emerelle hat Ollowain mit sich genommen, als sie verschwand. Ich habe sie gesucht. Und ich weiß, dass auch Meuchler sie gesucht haben, denn die Trolle fürchten sie noch immer. Sie ist verloren. Ich ahne, ihre Feinde haben sie vor mir gefunden. Heute feiert Vahan Calyd das Fest der Lichter. Ihr Fest!
Mein Dolch ist geschärft. Ich bin ein Fürst. Sie haben mich ausgewählt, an der Königswahl teilzunehmen. Mich! Welch
Weitere Kostenlose Bücher